Meditation berührt den Urgrund, das Selbst des Menschen, die Essenz, sein tiefstes, göttliches Wesen. Meditation ist aktive und bewusste Stille mit dem Verweilen der Präsenz im Jetzt, im gegenwärtigen Moment. Der gegenwärtige Moment ist die einzige Realität die wirklich existiert. Realität ist frei von Vergangenheit und Zukunft. Meditation bringt unsere ganze Aufmerksamkeit in die Realität. Entgegen so mancher falschen Auslegung ist Meditation keine Flucht von der Welt sondern im Gegenteil, das bewusste Verweilen in der Realität.
Es ist mir wichtig klarzustellen:
Vipassana, mit Zen der Königsweg der Meditation, ist das Loslassen des Gedankenstroms, das Verweilen im gegenwärtigen Moment, Achtsamkeit für den Atem, bewusste Wahrnehmung für „das was ist“, und das aktive Ruhen in der Stille.
In der Meditation, deren Ziel die Erleuchtung des Menschen ist, werden keine neuen „Phantasien“ erzeugt. Sie ist also keine Traumreise - wir träumen schon seit Millionen von Leben und sollten endlich aus der Täuschung des Traumes erwachen. Sie erzeugt keine äußeren Objekte wie Engel, Krafttiere, sonstige Wesenheiten oder andere Welten, welche die Aufmerksamkeit vom Selbst weg lenken.
Vipassana ist Eintauchen in das Natürliche, das Gott gegebene. Die Aufmerksamkeit ist auf das innere Selbst gerichtet. Dies bedeutet, die Aufmerksamkeit ist auf Gott gerichtet, die Aufmerksamkeit ist auf die höchste universelle Intelligenz gerichtet.
Wahre Meditation ist frei von Religion, Glauben und Konfession.
Sie geht über Religion, Glauben und Konfession hinaus.
Wahre Meditation ist ein Weg der Erkenntnis, ein Weg der Erleuchtung,
ein Weg der Verwirklichung des Göttlichen in diesem gesegneten Körper.
Meditation hilft uns, Ruhe, Gelassenheit und inneren Frieden zu finden, Meditation öffnet unser Herz, unser Mitgefühl und unsere Liebesfähigkeit. Meditation hilft uns, mit allem, was uns das Leben so bringt, gelassener umzugehen, Meditation bringt uns in unsere Mitte zurück. Was ist unsere Mitte? In Wahrheit ist unsere Mitte unser Herz, und unser Herz ist Liebe, und Liebe ist der tiefste Urgrund der alles durchdringenden kosmischen Intelligenz.
Meditation fördert unsere Achtsamkeit, unsere Wachheit, unser Bewusstsein und hilft uns, uns immer und immer wieder daran zu erinnern: ICH BIN DAS, ICH BIN grenzenloses Bewusstsein, ICH BIN das universelle SELBST, der Vater und ich sind EINS.
Die regelmäßige Praxis von Meditation ist aus meiner Erfahrung grundlegend erforderlich, um den ruhelosen Geist durch Selbsterforschung, Hingabe und Konzentration für die höchste Einsicht vorzubereiten.
Ebenfalls aufgrund meiner eigenen Erfahrung erkannte ich, dass Erleuchtung durch Erkenntnisgeschieht.
Tat tvam asi – Du bist Das.
Jnana Yoga, Yoga der Erkenntnis, beinhaltet drei wesentliche Aspekte zur Erleuchtung:
Shravana – Hören der Wahrheit durch den Lehrer im Satsang, der dem Schüler individuell das wesentliche Veständnis übermittelt
Mana - Geistige Reflexion und Verinnerlichung des aufgenommenen Wissens
Nididhyasana - Ernsthafte Meditation
Aufgrund meiner eigenen Erfahrung, finde ich diese drei genannten Aspekte für eine „verankerte Erleuchtung“ als außerordentlich wichtig:
Hören der Wahrheit durch einen Menschen, der erwacht ist.
Reflexion und Verinnerlichung
Kontinuierliche Meditationspraxis
Der Weg der Meditation in Verbindung mit Satsang ist der Weg der Erkenntnis. Es ist der direkteste Weg, der alles beinhaltet und gleichzeitig über alles hinaus geht.
Die Meditation kann viele positive Nebeneffekte haben wie:
Verbesserung der Konzentrationsfähigkeit
Mehr Klarheit
Mehr Gelassenheit
Weniger Drama
Zunahme von innerem Frieden
Mehr Bodenständigkeit
Steigerung der Lebensfreude
Mehr Leichtigkeit in Deinem Leben
Zunahme von Glücksgefühlen
Zunahme von Momenten der Glückseligkeit
Verbesserung der Gesundheit
Verbesserung der Vitalität
Mehr Energie
Verstärkung Deiner Intuition
Vertiefung von Unterscheidungsvermögen
Zunahme an Weisheit
Verstärkung der Eigenverantwortung
Verjüngung der Zellen
Beschleunigung von Heilungsprozessen
Erleichterung der Schwangerschaft
Einen positiven Einfluss für das Ungeborene in der Pränatalen Phase
Mehr Gelassenheit im Alltag
Das Treffen klarer Entscheidungen
Mehr Handlungsenergie
Zunahme der Tatkraft
Steigerung von Mitgefühl
Ausweitung von Liebe
Erkenntnis ICH BIN DAS
Das Verschmelzen mit dem göttlichen Selbst
Die Übung im Reinen Beobachten körperlicher und geistiger Vorgänge ist zwar nicht der einzige, aber der entscheidende Faktor auf dem vom Buddha gelehrten Heilswege rechter Achtsamkeit (satipaṭṭhāna) und begleitet diesen vom Beginn bis zu seinem Ziel.
Man definiert das Reine Beobachten als das ausschließliche und genaue Feststellen dessen, was im Augenblick der gegenwärtigen Wahrnehmung (einschließlich der geistigen) wirklich vor sich geht.
Dieses Beobachten gilt als "rein", weil sich das Beobachten dabei dem Objekt gegenüber rein aufnehmend verhält, ohne durch Handeln darauf einzuwirken oder anderweitig zu reagieren. Das Beurteilen und Bewerten des Beobachteten ist natürlich wichtig genug und hat innerhalb der Satipaṭṭhāna-Methode seinen gebührenden Platz in der Entfaltung der "Wissensklarheit" (sampajañña).
Doch diese Reaktionen auf das Beobachtete gehören nur insofern in das Gebiet des Reinen Beobachtens, wenn sie während der strikten Übung auftauchen und diese dadurch unterbrechen. Dann sollten sie selber zum Objekt des Reinen Beobachtens gemacht werden. Nach erfolgter Feststellung ihres Auftretens sind sie aber nicht weiter zu verfolgen, sondern zu entlassen.
Die Übung des Reinen Beobachtens erscheint in allen vier gegebenen Betrachtungen desSatipaṭṭhāna-Sutta.
I.
Bei der Körperbetrachtung:
1. In den ersten beiden Übungen der Achtsamkeit auf den Atem (ānāpāna-sati); auch in gewissem Ausmaß in der dritten, doch dabei ist schon ein zusätzliches Willens-Element vorhanden, was bei der vierten noch ausgeprägter ist;
2. In der Aufmerksamkeit auf die vier Körperhaltungen; in der Schlussklausel dieses Abschnittes - "wie auch immer seine Körperstellung ist, so eben weiß er es" - mögen auch andere Körpervorgänge, wie Beugen, Strecken usw. einbegriffen werden, die in einem späteren Abschnitt der Lehrrede als Objekte der "Wissensklarheit" erscheinen.
II.
Gefühlsbetrachtung und
III.
Geistbetrachtung sind ausschließlich Übungen des Reinen Beobachtens.
IV.
In der Geistobjekt-Betrachtung gehört zum Reinen Beobachten das Feststellen der An- oder Abwesenheit der "Hemmungen" (5 Nīvaraṇas) und der "Erleuchtungsglieder" (7 Bojjhaṅgas), sowie das Gewahrwerden der sechsfachen Sinneswahrnehmung und der dabei entstehenden "Fesseln" ("er kennt das Auge und die Sehobjekte ..."). Die sich im Text der Lehrrede (Majjhima Nikāya 10) daran anschließenden Betrachtungen über die Entstehung usw. dieser Hemmungen, Erleuchtungsglieder und Fesseln sind von großer Wichtigkeit, gehören aber nicht zur Übung des Reinen Beobachtens.
Beim Reinen Beobachten hat man eine zweifache Anwendungsweise zu unterscheiden:
1.
Reines Beobachten als systematische Klarblicks-Übung (vipassanā-bhāvanā) wird zu eigens dafür bestimmten längeren oder kürzeren Zeitperioden unternommen, wobei ein über die normale Achtsamkeit hinausgehender, höherer Konzentrationsgrad zu erstreben ist, bis hin zur sogenannten "angrenzenden Sammlung" (upacāra-samādhi). Man bedient sich dabei eines bestimmten Hauptobjektes und zwar eines einfachen eigenen Körpervorganges (wie der Atmung) und eventuell einiger weniger zusätzlicher sekundärer Objekte der gleichen Kategorie. (Als erleichternde Abwechslung und zur Unterstützung, der beim Hauptobjekt gemachten Erfahrungen.) Die Absicht ist hier durch stetiges Reines Beobachten eine völlige Vertrautheit mit dem Hauptobjekt und allmählich auch mit den sekundären Objekten zu gewinnen - ohne intellektuelle Vorwegnahme, sondern nur durch bloßes, ruhiges und fortgesetztes Beobachten immer feinere Einzelheiten in der Ablaufsart dieser Vorgänge kennen zu lernen und anschaulich ihr Entstehen und Vergehen, sowie ihren unpersönlichen Charakter zu erfahren. Es ist der Weg der Klarblicks-Meditation, der hier beschritten wird und allmählich durch die wachsende Kraft anhaltender Übung bis zum Erlösungsziel der Heiligkeit führt. Es ist das gleiche Hauptobjekt, das den ganzen Weg bis zu diesem höchsten Ziel begleitet. Als Hauptobjekt dient, wie bereits gesagt, ein einfacher Vorgang der eigenen Körperlichkeit. Auch die sekundären Objekte sollten ebenso eigene körperliche Vorgänge sein. Geistige Vorgänge, d.h. die drei anderen Satipatthâna-Betrachtungen, dienen hier als zeitweilige Objekte nur, wenn sie im Zusammenhang mit den körperlichen Haupt- und Hilfsobjekten auftreten, so zum Beispiel als Schmerz oder als Freude und als unterbrechende Gedanken mannigfacher Art. Solange diese währen, werden sie betrachtet, danach die Übung mit dem ursprünglichen Objekt wieder aufgenommen. Hier, wo es sich um direkte Anschauung handelt, werden lediglich eigene (ajjhatta) körperliche oder geistige Vorgänge als Objekte benutzt. Äußere (bahiddhā), d.h. fremde körperliche und geistige Vorgänge können der Klarblickserkenntnis nur auf dem Weg der Schlussfolgerung dienstbar gemacht werden und sind daher in der zweiten Anwendungsart des Reinen Beobachtens zur Ergänzung heran gezogen.
2.
Reines Beobachten als allgemeine Achtsamkeits-Übung kann während des normalen Tagesverlaufes bei jeder sich bietenden Gelegenheit im Rahmen der jeweils gegebenen Möglichkeiten geübt werden. Auch hier soll das Hauptgewicht auf den eigenen körperlichen und geistigen Vorgängen ruhen. Doch auch die gelegentliche, auf die der Beobachtung zugänglichen Vorgänge anderer Personen wird von großem Wert sein, worüber im weiteren Verlauf dieser Ausführungen Näheres gesagt werden soll. Die Absicht und das erreichbare Ergebnis ist hier eine allgemeine Steigerung in der Schärfe und dem Radius der Achtsamkeit. Allgemeine Aufhellung, Weitung und Vertiefung des Bewusstseins, sowie eine verstärkte Konzentrationsfähigkeit sind die Folge. Gefördert wird ferner auch die Selbstkontrolle in jeder Art. Der Erkenntnis-Zuwachs wird ebenfalls nicht unbeträchtlich sein. Diese Ergebnisse sind offenkundig auch für rein weltliche Zwecke, d.h. außerhalb des überweltlichen Erlösungszieles der Buddha-Lehre von größtem Wert. Doch weder die Konzentrationsfähigkeit, noch die wirklichkeitsgemäße Erkenntnis der Werdevorgänge können hier den Stärkegrad erreichen, der bei der vorerwähnten systematischen Klarblicks-Übung möglich und für die Erreichung des Erlösungszieles nötig ist.
Für den, der diesem Erlösungsziel nachstrebt, ist es erforderlich, beide Anwendungsarten des Reinen Beobachtens zu pflegen, da sie sich gegenseitig unterstützen. Besonders im Westen mit seinem Aktivitätsdrang könnten nun manche fragen: "Wie kann ein rein passives Beobachten solche Wirkungskraft haben, wie sie ihm hier zugeschrieben wird? Was kann es schon auf sich haben, wenn wir beim Gehen wissen, dass wir gehen oder wenn wir ein angenehmes oder unangenehmes Gefühl als solches feststellen?"
Die beste Antwort wäre freilich, dem skeptischen Frager zu raten, sich nicht durch unsere oder der Buddha-Worte, sondern durch eigene Erfahrung überzeugen zu lassen, also es selber mit der Übung zu versuchen. Doch diejenigen, die den Buddha noch nicht genügend als einen vertrauenswürdigen Führer kennen, werden zögern, sich auf ein solches, wenn auch einfaches und harmloses, ihnen aber doch seltsam erscheinendes Experiment einzulassen, ohne gute Gründe dafür zu sehen. Um solchen Zweifelnden das für jedes ernstliche Werk so notwendige anfängliche Vertrauen in seinen Sinn und seine Erfolgsmöglichkeit zu geben, soll nun im Folgenden mit einiger Ausführlichkeit darüber gesprochen werden, was es eigentlich ist, das der Übung des Reinen Beobachtens ihre so außerordentliche und kaum vermutete Kraft verleiht.
Diese Ausführungen dürften aber auch für den Buddhisten und den praktisch Übenden von Nutzen sein, indem sie ihn mit dem Geist der Satipaṭṭhāna-Übung vertraut machen, auf deren Weite und bedeutsame Perspektiven hinweisen, ihm helfen diese verschiedenen Aspekte seiner Übung wiederzuerkennen und sie bewusst zu pflegen.
Die vier hauptsächlichen Kraftquellen des Reinen Beobachtens
Unter der fünffachen Zielsetzung, die den Beginn des Satipaṭṭhāna-Sutta bildet oder dem fünffachen Ergebnis, das dort verheißen wird, steht als erstes die "Läuterung der Wesen", d.h. die Läuterung des Geistes.
Sie bildet in der Tat den Anfang und das Ziel der Entwicklung, ebenso wie rechte Erkenntnis als richtige Anschauung am Beginn und als die erlösende höchste Weisheit am Ende des edlen achtfachen Pfades steht. Somit ist auch hier von der "Lauterkeit des erreichten Zieles", die allmähliche "Läuterung des Weges" zu unterscheiden.
Die "Lauterkeit am Ziel" ist die auf der Heiligkeitsstufe erreichte Reinheit im höchsten Sinne, nämlich die völlige Läuterung des Geistes von Gier, Hass und Verblendung.
Die "Läuterung des Weges" ist die schrittweise Annäherung an dieses Ziel. Hierin nimmt die Übung des Reinen Beobachtens einen hervor ragenden Platz ein. Diese an sich so einfache Übung vermag es, auf dreifache Art Läuterung zu bewirken:
1. eine funktionelle Läuterung des Geistes, d.h. einer Ordnung und Klärung des Bewusstseinsablaufes,
2. eine sittliche Läuterung und
3. eine Läuterung, d.h. Klärung und Schärfung des Erkenntnisprozesses.
Diese so tief- und weitreichende Wirkungskraft der Übung des Reinen Beobachtens kommt hauptsächlich aus vier Quellen:
1. aus ihrer ordnenden und damit benennenden oder registrierenden Funktion,
2. aus ihrem gewaltlosen und zwanglosen Vorgehen,
3. aus der von ihr verliehenen Fähigkeit des Innehaltens und Verlangsamens
4. und aus der sich ergebenden Unmittelbarkeit der Anschauung.
1. Die Funktion des Ordnens und Benennens
Richtet man das Reine Beobachten auf sich selber, so zeigt sich als erstes die Ordnungsbedürftigkeit eines großen Teiles unseres Alltags-Bewusstseins und unserer Alltags-Tätigkeit. Diese Notwendigkeit ist aber ohne solche besondere Hinlenkung unseres Geistes durchaus nicht jedem, eher nur sehr wenigen klar, denn die Aufmerksamkeit des Geistes pflegt sich im allgemeinen an die von ihm verfolgten Ziele zu heften, und dem Durchschnittsmenschen fällt es kaum je ein, seine Achsamkeit auch einmal auf die Beschaffenheit und die Funktionsqualität des eigenen, diesen Zielen nachjagenden Geistes zu richten. Diese Zwecksüchtigkeit ist manchmal so stark, dass sogar die Wahl der rechten Mittel zur Erreichung dieser Zwecke oft gröblich vernachlässigt wird. Für die, vom Zweck-Zentrum aus gesehen, untergeordneten Tätigkeiten bleibt dann natürlich noch viel weniger Aufmerksamkeit und Sorgfalt übrig.
Beim Reinen Beobachten wird nun dem derart vernachlässigtem Geist der Spiegel vorgehalten und was er darin erblickt, wird ihn eindringlich von der Notwendigkeit einer planmäßigen Geistesschulung überzeugen, selbst wenn dieser Geist zuerst nur ihre nächstliegenden praktischen und noch nicht ihre höheren Ziele begreift. Den heilsamen Schrecken, den man bei solchem ersten Einblick oder Anblick erfahren kann, sollte man in sich lebendig halten, als einen Ansporn zu unablässiger Pflege der Schulung.
Welcher Anblick bietet sich nun bei solch einer Selbstbeobachtung?
Es zeigt sich zunächst, dass von den zahlreichen Sinneswahrnehmungen, die während eines einzigen Tages erfolgen, nur sehr wenige eine durchschnittliche Klarheit und Deutlichkeit besitzen. Die meisten sind verschwommen, oberflächlich oder anders undeutlich. Bei einem großen Teil der Eindrucksfülle ist es auch nicht anders nötig oder möglich. Ein Stein an unserem Wege, auf den unser flüchtiger Blick fällt, erfordert schärfere Aufmerksamkeit nur, wenn er ein Hindernis bildet oder uns aus anderem Grunde interessiert.
Doch wenn wir diese vielfältigen, flüchtigen Sinneseindrücke allzusehr vernachlässigen und damit das Maß der ihnen gewidmeten Aufmerksamkeit stetig sinkt, so kann es geschehen, dass wir über allzuviele Steine (wirkliche und figürliche) stolpern oder "Edelsteine" an unserem Weg übersehen.
Doch wichtiger als diese flüchtigen peripherischen Sinneseindrücke sind jene, die enger mit unserem zielgerichteten Bewusstsein zusammenhängen und auf denen unsere Urteile, Entscheidungen und Handlungen basieren. Der Blick in den Spiegel des Reinen Beobachtens wird zeigen, wie viele auch von diesen wichtigeren Sinneswahrnehmungen unbestimmt, unklar oder krass unvollständig sind, wieviele von ihnen verfälscht sind durch irrige Assoziationen, durch Vor-Urteile oder voreingenommene Gefühlswertungen. Da kann es nicht ausbleiben, dass auch die Urteile, Entscheidungen und Handlungen, die sich auf solche unzuverlässige Wahrnehmungsbilder gründen, abwegig sind und zu Konflikten mit der Wirklichkeit führen.
Weiterhin wird der Beobachter feststellen, wie wenige der ungezählten, während eines Tages begonnenen Gedankengänge zuende geführt werden. Die meisten dieser Gedankengänge finden einen vorzeitigen Tod, sei es durch ihre eigene Schwäche, wegen geringer Konzentration oder durch mangelnden Bekenntnismut zu ihren Konsequenzen. Ähnlich steht es auch mit dem Gefühlsleben. Wie viele edle Gefühle z.B. kommen nur zu einem kurzen, schwachen Aufflackern, ohne sich in Wille, Tat oder klare Gedanken umzusetzen! Alle diese unklaren Wahrnehmungen, diese unentwickelten Gedanken und Gefühle üben, selbst wenn sie sehr schwach sind, in ihrer Summierung doch allmählich einen ungünstigen Einfluss auf die Schärfe der Geistesfunktionen aus. Sind sie aber etwas stärker, dann sinken sie in tiefere Bewusstseinsschichten, aus denen sie in jedem Augenblick wieder auftauchen können. Damit mehrt sich die Unberechenbarkeit und Unzuverlässigkeit künftiger Entscheidungen, Gedanken und Gefühle. Besonders verhängnisvoll ist es aber, wenn mit Vor- und Fehlurteilen oder mit Leidenschaften verquickte Wahrnehmungen ins Unterbewusstsein sinken. Denn diese führen zur Bildung von gewohnheitsmäßigen Einstellungen des Gefühles und des Denkens, die nur schwer zu entwurzeln sind.
Der Maßstab für die wirkliche Kraft und den Helligkeitsgrad des Gesamtbewusstseins besteht nicht etwa bloß in dem vom gerichteten Willen grell beleuchteten, verhältnismäßig geringen Bewusstseinsausschnitt und der mit bewusster Anstrengung erzielten Höchstleistung, sondern entscheidend für die Gesamtbeurteilung ist der wachsende oder sich verringernde Umfang jener im Halbdunkel liegenden Bewusstseinsgebiete, von denen wir oben sprachen. Dieser hier nur kurz und lückenhaft skizzierte Einblick in den Ablauf eines ungeschulten Alltagsbewusstseins wird einen solch erschreckenden Zustand von Unordnung zeigen, wie man ihn sicher nicht in seiner äußeren Umgebung, etwa im eigenen Wohnraum, dulden würde.
Es ist die tägliche kleine Lässigkeit, die Selbstvernachlässigung des Geistes, welche durch viele Lebensjahre, dem Buddha zufolge durch viele Lebensläufe hindurch, diesen Zustand geschaffen und geduldet hat. Es heißt im Sutta Nipāta: "Lässigkeit ist Schmutz - und Schmutz auch, was aus Lässigkeit erwächst." (Vers 334). Der Kommentar bemerkt hierzu: "Lässigkeit (pamāda) bedeutet in Kürze: 'Abwesenheit der Achsamkeit'. ... Aus der Lässigkeit folgend entsteht eine Menge Schmutz, ja ein ganzer Kehrichthaufen. Es ist, wie wenn sich im Hause alle ein bis zwei Tage nur etwas Schmutz ansammelt, aber wenn er durch viele Jahre hindurch anwächst, so wird es eben ein ganzer Kehrichthaufen." Gerade die unaufgeräumten Ecken des Inneren sind es, wo unsere gefährlichsten Feinde hausen und von wo aus sie uns unversehens überfallen und nur allzuoft überwältigen.
Bevor man also mit der Läuterung von den Hauptbefleckungen der Gier, des Hasses und der Verblendung beginnen kann, muss zunächst die Unreinlichkeit und Verworrenheit des Bewusstseinsablaufes reduziert werden. In ihrem verworrenen, verknoteten, ja unreinlich verfilzten Zustand widersetzen sich die vielfältigen Stränge jedem wirklich in die Tiefe reichenden, formenden Bemühen. Sie erleichtern im Gegenteil das unkontrollierte und unkontrollierbare Aufspringen von Gier und Hass aus halbbewussten Assoziationen heraus und sie bilden außerdem das natürliche Element, den fruchtbaren Nährboden jener dritten großen Befleckung, der Unwissenheit oder Verblendung. Daher gilt es zunächst diese innere Wirrnis zu klären, die Verknotungen zu lösen und sich von der allmählich zu einem festen Gewebe gewordenen Verfilzung von halbartikulierten Gedanken, Gefühlen und Trieben zu säubern. Diese elementare Aufgabe erfüllt das Reine Beobachten in seiner ordnenden Funktion. Denn das Beobachten einer Vielfältigkeit vollzieht sich ordnend, indem die einzelnen Stränge in ihrem Verlauf verfolgt und genau von einander unterschieden werden. Das Ordnen wiederum wird ebenso im Inneren, wie in einem äußeren Haushalt dazu veranlassen, das Störende, Unerwünschte und Überflüssige auszusondern. Das wiederholte bloße Betrachten der inneren Situation wird einen immer stärker werdenden Drang schaffen, sie zu ändern, und diese innere Triebkraft wird das bewusste Bemühen um eine Änderung (eben zum Positiven) wesentlich fördern.
Das Benennen: Zusammen mit dem Beobachten und Ordnen der einzelnen Gedankenstränge erfolgt auch gleichzeitig ihre begriffliche Kennzeichnung, ihre Benennung. Diese ausdrückliche Identifizierung der aufsteigenden Bewusstseinszustände erscheint deutlich innerhalb des Satipaṭṭhāna-Sutta in der "Geistbetrachtung" und im ersten Teil der Betrachtungen über die "Hemmungen" (5 Nīvaraṇas) und "Erleuchtungsglieder" (7 Bojjhaṅgas).
Es liegt ein Kern von Wahrheit in der Wort-Magie der sogenannten Primitiven:
"Die Dinge mit ihrem rechten Namen zu nennen, bedeutet vielfach schon ihre Beherrschung."
Wenn zum Beispiel der Übende in der Geist-Betrachtung von lustbehaftetem Geist weiß: "lustbehaftet ist der Geist", so wird er sich häufig allein schon durch diese einfache ausdrückliche Feststellung dazu gedrängt fühlen, den Lust-Gedanken aus seinem Geist zu entlassen. Auf diese Wirkungskraft der identifizierenden Benennung scheint auch die zweite Methode der "Gedankenstillung" (vitakka-santhāna) hinzuweisen, die in der gleichnamigen 20. Rede der "Mittleren Sammlung" (Majjhima Nikāya) behandelt wird. Es heißt dort: "Wenn jenem Mönch, der sich von dieser (üblen) Vorstellung fort, einer anderen und zwar heilsamen Vorstellung zugewandt hat, doch noch schlechte, unheilsame Gedanken aufsteigen, die mit Verlangen, Hass oder Wahn verknüpft sind, dann soll er das Üble dieser Gedanken prüfen. Wenn er so das Üble dieser Gedanken prüft, dann schwinden sie und lösen sich auf. Durch ihr Schwinden festigt sich innerlich der Geist, er beruhigt sich, gewinnt Einheit und sammelt sich. Gleichwie eine Frau oder ein Mann, jung, jugendlich und schmuckliebend, sich ekeln, sich entsetzen und Abscheu empfinden würden über einen Schlangen-, Hunde- oder Menschenleichnam, den man ihnen um den Hals hängte. Ebenso auch soll jener Mönch ... das Üble jener Gedanken prüfen: 'so sind sie, diese unheilsamen Gedanken ...' ".
Will man die Übung des Reinen Beobachtens nicht durch reflektierendes Denken unterbrechen, so wird es nützlich sein, wenn man auf seine Feststellungen bei späterer Gelegenheit zurückkommt und den z.B. aufgestiegenen Lust-Gedanken im Zusammenhang mit der Buddha Lehre einordnet. Das kann man tun, indem man sich z.B. vergegenwärtigt, in welcher Weise und in welchem Ausmaß dieser leiderzeugend wirkt, welches seine Entstehungsbedingungen und Aufhebungsmittel sind usw. In dieser Weise wird man die Wirkung, der durch das Reine Beobachten erfolgten ersten Ausschaltung des Lust-Gedankens vertiefen und diese Erfahrung voll für eine wachsende Einsicht in die betreffenden Geistesvorgänge ausgewertet haben. Es kann nicht ausbleiben, dass solches Verfahren allmählich tiefgreifende Wirkung auf Charakter und Erkenntnis ausüben wird. Auch das ausdrückliche Identifizieren guter, edler Gedanken wird einen förderlichen Einfluss haben. Die dabei entstehende Freude ist eine wichtige Vorbedingung für geistige Sammlung und wird den Wunsch nach ihrer Wiederholung wachrufen.
Es ist ein hervorragender Charakterzug der Rechten Achtsamkeit und besonders des Reinen Beobachtens, dass sie fähig ist, von allen inneren und äußeren Vorgängen für ihre Zwecke Gebrauch zu machen und selbst Unheilsames zum Einsatzpunkt der Entstehung von Heilsamen zu nutzen.
Seit Jahrzehnten des gegenwärtigen Lebens, seit Jahrtausenden von Wiedergeburten wächst und festigt sich im Menschen ein geschlossenes Gefüge von Instinkt- und Reflexhandlungen, von Vorurteilen des Gefühles und des Intellektes, kurz, von körperlichen und geistigen Gewohnheiten, die nicht mehr in Frage gestellt werden. Es sind Gewohnheiten darunter, die ein organisches inneres Wachstum über einen bestimmten engen Bezirk hinaus notwendig verhindern müssen. Was den harten Boden dieses Gefüges zu lockern und für das Samenkorn einer höheren Geistesschulung aufnahmefähig machen kann, ist eben jenes ruhige und klare Beobachten, welches das Kernstück der Satipaṭṭhāna-Übung bildet. Diese Beobachtung zeigt, identifiziert und verfolgt die einzelnen Fäden im weiten Netz dieses meist nur halb bewussten geistigen Gewebes.
Sie enthüllt die oft nur vorgeschobenen Motive und nachträglichen Rechtfertigungen der Triebe und Vorurteile. Auch deckt sie deren wahre Wurzeln auf, die oft nur in recht oberflächlichen oder abwegigen Gedanken- oder Triebassoziationen bestehen. Kurz, schon das reine Beobachten zeigt in diesem scheinbar so unzugänglichen und geschlossenen Gefüge die vorhandenen Lücken, welche dann durch fortgesetzte Übungen und mittels der Weisheit erweitert werden können. Dieses Deutlichwerden der inneren Zusammenhänge und damit der Zugänglichkeit, dieses Aufzeigen der Bedingtheit und damit der Veränderlichkeit, nimmt den Trieben, Vorurteilen und Gewohnheiten, ja auch der materiellen Welt ihre Selbstverständlichkeit.
Durch all das "Schwergewicht des Vorhandenen", hinter dem eine unabsehbare Vergangenheit steht, durch all die Selbstsicherheit geistiger Gewohnheiten und sog. "harter Tatsachen", werden viele so beeindruckt und eingeschüchtert, dass sie zögern, sich einer systematischen Geistesschulung zu unterziehen, da sie an ihrer Erfolgsmöglichkeit zweifeln. Die so einfache Übung des Reinen Beobachtens aber, ihren Standpunkt fest in der Gegenwart nehmend, vermag schon nach kurzer Zeit dieses Zaudern und Zweifeln zu zerstreuen und einen Vorgeschmack jener inneren Sicherheit und Unerschütterlichkeit zu geben, die das hohe Ziel der Schulung bildet.
"Wer aber in der Gegenwart ein Ding, wer hier und jetzt es klar durchschaut,
was unverlierbar, ohne Wanken, er kann als Weiser es erwirken." (M.131)
Besonders jene "Dämonen des Halbdunkels", die Bewohner der unterbewussten Bereiche unseres Inneren, vertragen nicht die klärende Frage nach ihrem Namen oder gar das ihre Macht lähmende Wissen um ihn, was uns schon die Märchen-Weisheit erzählt. Auf diese "Dämonen" scheint manchmal schon der bloße, ruhige Blick beherrschender Achtsamkeit einen magischen Einfluss auszuüben, indem er sie aus ihren Ecken und Verstecken zwar widerstrebend, aber unwiderstehlich in die gefürchtete Helle hervorlockt. Und sind erst diese unterbewussten Tendenzen bewusst oder doch bewusster geworden, dann verlieren sie manchmal sehr schnell ihre Selbstverständlichkeit. Sie werden unsicher und selbst ohne dass in dieser rein beobachtenden Phase der Übung eine Frage an sie gerichtet oder ein Vorurteil über sie gefällt wird, fühlen sie sich schon "in Frage gestellt" und glauben sich verantworten zu müssen. Damit ist dann schon häufig ein Großteil ihrer Macht gebrochen.
2. Der "gewaltlose" Charakter des Reinen Beobachtens
Es ist das gewaltlose, zwanglose Vorgehen des Reinen Beobachtens, dem ein guter Teil des Erfolges dieser Methode zu verdanken ist.
Man wird häufig die Erfahrung gemacht haben, dass leidenschaftliches Verlangen sich durch den Versuch gewaltsamer Unterdrückung nur noch verstärkt, dass ein Streit durch Widerrede immer wieder neue Nahrung erhält, dass einer Störung durch den Ärger über sie ein stärkeres Gewicht und eine längere Lebensdauer gegeben wird als ihr selber innewohnt. Unerwünschte Eindrücke, sowohl innere als auch äußere, fassen Wurzel in uns nicht nur durch Billigung, sondern auch oftmals durch Widerstand. Denn beides, Billigung und Widerstand, ist ein Eingehen auf sie, ein Einlassgewähren. Oft wäre das einfache Entlassen dieser Eindrücke und Vorstellungen, die Weigerung irgend eine ichbetonte Beziehung zu ihnen herzustellen, das viel wirksamere Mittel. Die Welt in der wir leben, ist voll von unliebsamen Eindrücken, inneren und äußeren. Dies ist eine ganz banale Feststellung. Doch wir müssen dieser ihr volles Gewicht geben und die rechten Folgerungen daraus ziehen. Wir wissen von der Außenwelt, dass wir in ihr notwendig allerlei Störungen und Durchkreuzungen unseres Willens ausgesetzt sind. Dies ist allein schon durch die ungeheure Beziehungsvielfalt bedingt, in der wir stehen, selbst wenn wir von den beabsichtigten Unfreundlichkeiten und Feindseligkeiten absehen, die wir im Leben erfahren. Wir wissen, dass wir dem nicht entgehen können. Und wie steht es mit unserer Innenwelt? Hier dürfen wir uns der Tatsache nicht verschließen, dass, solange wir noch unerlöste, unvollkommene Durchschnittsmenschen (putthujjana) sind, es nicht ausbleiben kann, dass solche Dinge wie Begehrlichkeit und Abneigung, Lässigkeit und Unruhe noch in verschiedenen Stärkegraden in uns aufsteigen werden. Auch dem können wir nicht entgehen, solange wir nicht eine der vier Heiligkeitsstufen erreicht haben, auf denen die verschiedenen Geistbefleckungen völlig und endgültig schwinden. Mit all diesen inneren und äußeren Störungen haben wir also zu rechnen und auch unsere "Missbilligung" wird daran nichts ändern. Die Wirklichkeit kümmert sich wenig um theoretische Werturteile, die wir über sie fällen. Mit den Tatsachen, vor die sie uns stellt, brauchen wir uns gewiss nicht passiv abzufinden, denn sie bedürfen ja unserer immer wieder erneuten Bekräftigung, um sich als "Tatsachen" zu erhalten. Aber diese Tatsachen erfordern unsere sorgfältige Auseinandersetzung mit ihnen. Doch wie wir schon vorhin bemerkten, ist das Tröstliche hierbei, dass dieses scheinbar so dichte Gefüge der Wirklichkeit winzige, doch in jedem Daseinsmoment erscheinende "Lücken" aufweist, in denen ein feines Instrument Zutritt finden und allmählich das Gefüge lockern und aufbrechen kann. Es bedurfte eines Erleuchteten, eines Buddha, um diese winzigen Lücken zu finden und das feine Werkzeug zu schaffen, das ihnen angepasst ist. Dieses Werzeug ist Satipaṭṭhāna (Grundlagen der Achtsamkeit).
Wie setzt sich nun Satipaṭṭhāna mit dieser Welt der unvermeidlichen inneren und äußeren Störungen auseinander? - Eben durch das gewaltlose Reine Beobachten, durch das bloße, aber ausdrückliche und klar bewusste Feststellen dieser "Störungen", ohne sich von diesem Standort auch nur um Haaresbreite verdrängen zu lassen, sei es durch Nachgiebigkeit oder unruhige Abwehr. Das ist in bescheidenem Ausmaß eine Wiederholung jener Situation, in der sich der Asket Gotama in der entscheidenden Nacht seiner Erleuchtung befand, als Māra (der "Erzstörenfried", die verkörperte, lebensbejahende Leidenschaft) vergebens auf jenen Sitz der Erleuchtung Anspruch erhob und sich mit allen Mitteln bemühte, den Buddha von jener Stätte zu verdrängen.
Als ein Echo aus unserer Zeit sei hier die Äußerung eines burmesischen Laienanhängers der Satipaṭṭhāna-Methode angeführt:
"Wir laufen nicht den Dieben nach, die in das Haus unseres Geistes einbrechen wollen. Wir bewachen die Eingangspforte."
Wir wollen nun im Einzelnen betrachten, wie sich dieses gewaltlose Verhalten des Reinen Beobachtens auswirkt:
Die Anfangsschwierigkeiten und der Anfangserfolg
Wenn während der Meditation oder der Achtsamkeitsübung innere oder äußere Störungen auftreten, so wird es einem Anfänger in der Geistesschulung nur selten gelingen, diese leichthin beiseite zu schieben. Ebensowenig dürfte er Erfolg haben, wenn er sich mit den aus seinem Inneren aufwallenden, machtvollen Gegenströmungen der Unruhe oder der Leidenschaft in direktem Kampf messen wollte. Seine ungeschulte Abwehr wird meist nur eine emotionell gefärbte Aufmerksamkeit auf diese inneren und äußeren Störungen verstärken und ihnen manchmal unnötige und vermeidbare Überbetonung geben.
Bei der Bewertung solcher Misserfolge für den Anfänger müssen wir bedenken, wie häufig es gerade die Anfangs-Schwierigkeiten sind, an denen, eben wie äußeres Werk, so auch die innere Arbeit der Geistesschulung und Meditation scheitert. Dabei ist es nicht nur der Kleinmut, der angesichts der Anfangsschwierigkeiten zu einem vorschnellen Aufgeben weiterer Bemühungen führt, sondern es kann auch ein entgegengesetztes Motiv sein: ein falscher Stolz, der es nicht wahrhaben will, dass der Misserfolg an der eigenen, noch unentwickelten Kraft oder an mangelnder Ausdauer lag, sondern sich lieber einredet, dass die Methode die Schuld habe oder gar das Ziel nicht das rechte oder erreichbare sei.
Das beste sowohl faktische, wie auch gefühlsmäßige Gegengewicht gegen die Anfangsschwierigkeiten ist natürlich der Anfangserfolg. Solchen Anfangserfolg ermöglicht die gewaltlose Methode des Reinen Beobachtens, der jedes Objekt, das sich ihr bietet, recht ist und mit jedem Objekt Ergebnisse zeitigen kann, die unmittelbare Befriedigung gewähren. Damit ermutigt sie den Beginner und gibt ihm einen Fußpunkt für seinen weiteren Fortschritt. Und wie wichtig ist solche Ermutigung zu Beginn dieses schwersten Werkes; der Beherrschung, Lenkung und Formung unseres Geistes! Wie wichtig ist es, dass Freude, Befriedigung, Selbstvertrauen und Zuversicht, die aus dem Anfangserfolg erwachsen, unserem Geist auf seinem hohen Flug kraftvolle Schwingen verleihen! Trefflich sagt ein altchinesisches Weisheitsbuch, das I-Ging: "... dass in dem Chaos der Anfangsschwierigkeiten die Ordnung schon angelegt ist. So muss der Edle in solchen Anfangszeiten die unübersichtliche Fülle gliedern und ordnen, wie man Seidenfäden aus einem Knäuel auseinanderliest und sie zu Strängen verbindet. ...Wenn man zu Anfang einer Untersuchung auf Hemmungen stößt, so darf man den Fortschritt nicht erzwingen wollen, sondern muss vorsichtig innehalten. Aber man darf sich nicht irremachen lassen, sondern muss dauernd und beharrlich sein Ziel im Auge behalten."
Die kleine Störung - eine der größten Anfangsschwierigkeiten in der Meditation - ist allerdings nicht bloß auf den Anfang beschränkt. Sie besteht entweder aus ablenkenden und unterbrechenden Außenreizen oder den eigenen schweifenden und unruhigen Gedanken. Die irritierenden Nadelstiche der "kleinen Störung" können empfindlicher sein und den Willen zur Fortführung der Übung entscheidender lähmen, als starke Widerstände von außen oder leidenschaftliche von innen, welche im Gegenteil die Anspannung aller Abwehrkräfte herausfordern mögen. Doch gerade ein Charakter, dem diese letzte Reaktion naheliegt, wird durch die fortgesetzte "kleine Störung" in besondere Gefahr kommen, die Übung aus dem zweiten, der oben genannten Gründe aufzugeben, weil es seinen Stolz verletzt, fortwährend einem so "geringen" Gegner zu unterliegen. Die "kleine Störung" spielt demnach eine so wichtige Rolle, dass es nicht ausreichend ist, sich mit ihr nur dann zu befassen, wenn sie gerade auftritt. Wie lästige Fliegen werden die "kleinen Störungen" wohl manchmal durch anhaltendes Wegscheuchen vertrieben, doch meist kehren sie beharrlich zurück. Und in jedem Falle hat man sich durch die fortgesetzte Bewegung des Verscheuchens eine zweite Störung und Beunruhigung geschaffen. Es bleibt also dem Jünger einer Geistesschulung nicht erspart, sich mit der "kleinen Störung" auseinanderzusetzen, ein wirksames Gegenmittel zu finden und es planmäßig anzuwenden.
Das in seiner Einfachheit so geniale Mittel ist das Akzeptieren der Meditationsstörung als Betrachtungsobjekt. Dies ist nichts anderes als eine Anwendung der Grundregel des Reinen Beobachtens, keinen inneren oder äußeren Eindruck unbemerkt zu entlassen. Diese Aufmerksamkeit beschränkt sich aber, wie schon wiederholt bemerkt, lediglich auf den betreffenden Vorgang selber, ohne sich mit ihm nachdenkend oder bewertend zu befassen. Wird man zum Beispiel durch ein Geräusch unterbrochen, so ist so lange wie dieses Geräusch andauert, der Gegenstand der Achtsamkeit lediglich dieser Ton - und sonst nichts anderes. Wenn aber, bevor man seine Achtsamkeit fest darauf einstellen konnte, ein Gedanke des Unwillens aufgetaucht war, so ist der Betrachtungsgegenstand weder die komplexe Vorgangsreihe "störendes Geräusch" noch der einfache, aber vergangene Vorgang "Ton", sondern der gegenwärtige einfache Vorgang "Unwillen", solange er andauert.
In dieser Weise hat man die in der Lehrrede gegebenen Übungen anzuwenden, welche sich auf die An- und Abwesenheit der "Hemmungen" und auf die durch Wahrnehmung entstehenden "Fesseln" beziehen. Erwirbt man allmählich Fertigkeit in einer solchen Auseinandersetzung mit den "kleinen Störungen", so wird man, wenn sie auftreten, in der Lage sein, unmittelbar oder sehr bald zum ursprünglichen Betrachtungsgegenstand zurückkehren zu können, ohne an innerer Unruhe oder Sammlungsfähigkeit zu verlieren. Das reine unpersönliche Feststellen ohne näheres Eingehen auf den "störenden" Vorgang bewirkt seine Neutralisierung, seine "Entfärbung" (vi-rāga, Gierlosigkeit, wtl. 'Entfärbung'). Es wird eine Situation geschaffen, ähnlich einem Gespräch, das durch mangelndes Interesse des einen Gesprächspartners abstirbt. Eine beharrliche Anwendung dieser gewaltlosen Methode wird selbst gegenüber den Hauptbefleckungen des Geistes ihre Wirkung nicht verfehlen. Daher durfte ein burmesischer Satipaṭṭhāna-Lehrer die ermutigenden Worte sagen: "Denke nicht, dass es schwer ist, die geistigen Befleckungen (kilesa) zu überwinden! Dass es dem Strebenden leicht ist, so sollst du denken. Wenn Lässigkeit aufsteigt, so wisse: 'Lässigkeit ist da'. Wisse es wenn sie schwächer und schwächer wird und schließlich (eben durch fortgesetzte Achtsamkeit) schwindet." Der entscheidende Punkt ist, auf sie nicht einzugehen, weder durch Nachgeben noch durch Verstimmung. In diesem Sinne ist auch ein bedeutendes Buddha-Wort in der 18. Lehrrede der "Mittleren Sammlung" zu verstehen: "Wodurch bedingt einem Menschen die Wahrnehmungen der Vielheitswelt ankommen, wenn da kein Erfreuen, kein Bejahen, kein Anhalt ist, so ist dies eben das Ende der Gier-Neigungen, der Hass-Neigungen, der Neigungen zu Ansichten ...."
So wird also der "kleinen Störung", diesem großen Feind der geistigen Sammlung und sogar auch den stärkeren Befleckungen nicht nur die Waffe in gewaltloser Weise aus der Hand genommen, sondern sie werden sogar in ein Förderliches verwandelt, in den Dienst der gewaltlosen Geistesschulung gestellt und zur Überwindung der gewalttätigen Leidenschaften benutzt. Dies ist wahrlich der größte Sieg - Feinde in Helfer zu verwandeln. Ein Sieg, würdig jenes großen "Siegers" (jina), des Buddha, würdig jenes einzigartigen "Kenners der rechten Mittel"!
In diesem Zusammenhang mag das Wort eines buddhistischen Denkers (Ariyadeva) erwähnt werden, der die buddhistische Gesamtlehre in zwei Begriffe zusammenfasst: Gewaltlosigkeit (ahiṃsa) und Leerheit (suññatā), das ist Anattā oder die Lehre vom Nicht-Selbst.
3. Die Fähigkeit des Innehaltens und Verlangsamens
Eng verwandt mit der Gewaltlosigkeit der Methode ist ein anderer Aspekt, der gleichfalls ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist: das Innehalten als ein gewaltloses Zähmungsmittel der gewaltsam an uns zerrenden Impulse. Es ist eben die Gewöhnung an eine rein beobachtende Haltung, die auch die Fähigkeit des Innehaltens und Stillehaltens stärkt.
Hierüber sagt ein altes chinesisches Buch:
"Unter allem, was die Dinge endet und die Dinge anfängt, gibt es nichts Herrlicheres als das Stillehalten." (Schu Gua, alter I-Ging Kommentar)
Dass das Stillehalten oder Innehalten darin wahrhaft "herrlich" ist, wie es "die Dinge endet", dies gilt in einem noch höheren und weiteren Sinne als es wohl jenes chinesische Weisheitswort selber meint. Ist doch das "Enden der Dinge" in der Buddha-Lehre nichts anderes als Nibbāna, welches bezeichnet wird als die "Stillung der Gestaltungen", das "Zurruhekommen der Daseinsgebilde" (saṅkhārānaṃ vupasamo). Hierin besteht das höchste "Stillehalten". Das Ende der Gestaltungen aber geschieht durch das Enden des Gestaltens, das Ende der Gebilde durch das Enden des Bildens, das Ende der Dinge durch das Enden des Verdinglichens. Diese Begriffe: Gestalten, Bilden, Verdinglichen sind hier zu verstehen als der diesen Tätigkeiten zugrundeliegende karmische Wille, in dem das dreifache, wiedergeburterzeugende, weltenbauende Wirken wurzelt, eben in Taten, Worten und Gedanken, seien sie unheilsam oder triebgebunden-heilsam. Danach hat also das Pāli-Wort "saṅkhāra" auch hier in dieser Bezeichnung Nibbānas nicht nur die passive Bedeutung als "Gestaltung" oder "Gestaltetes", sondern auch seinen aktiven Sinn als das "Gestaltende", nämlich der Wiedergeburt bewirkende karmische Wille. Die Stillung dieses gestaltenden Willens ist das "Ende der Dinge", das Ende des Leidens. Es ist jenes "Ende der Welt", das dem Buddha-Wort zufolge nicht durch "Wandern" zu erreichen, sondern nur in uns selber zu finden ist.
Dieses Ende der Leidenswelt kündet sich uns an in jedem Akt des Innehaltens. Denn es ist ein Innehalten im Anhäufen von Karma (kamm' āyubana), ein Innehalten im Aufschichten und Aneinanderreihen von flüchtigen Gestaltungen, im Bauen und Erschaffen vergänglicher Welten. Das steht der Schöpferfreude und dem Schöpferleid gegenüber als die große Tatsache, die Tatenrast. Es ist der letzte Sabbath, in dem nicht nur neues Schaffen, sondern auch Schöpfer und Geschöpf enden. Doch es ist keine "Außenwelt", die hier ihr Ende findet. Alles Äußere erscheint dann reduziert auf einen Grad des "Aller-Innerlichsten", den unsere Sprache gerade nur noch in Negationen andeuten kann. All die Vielfalt des Außen ist dann einbezogen in jenen blitzartig kurzen ersten Bewusstseinsmoment der Heiligkeit, in diese Winzigkeit, in der sich doch die Unendlichkeit von Raum und Zeit erschöpft und ihr Ende findet.
Wenden wir uns nun jenem "Stillhalten" zu, welches "die Dinge anfängt". Wir erklären es hier als das Innehalten, welches die erste Phase der Achtsamkeitsübung, das Reine Beobachten kennzeichnet. Die Dinge, welche jenes Innehalten anfangen, sind in der Terminologie des Dhamma die "zum Abschichten führenden Dinge" (apaccayagāminodhamma), d.h. die zum Abschichten der Vielfalt (papañca), zum Abschichten des karmischen Willens führenden. Dieses "Abschichten" geschieht mit Hilfe des "Innehaltens" in dreifacher Weise:
1. durch den vereinfachenden "Klarblick" (vipassanā),
2. durch die einende "Geistesruhe" (samatha), insofern nämlich diese beiden einem künftigen Aufsteigen der Triebvielfalt vorbeugen und
3. durch Vermeidung und Überwindung unheilsamer Gedanken.
Das Innehalten als Förderung des Klarblickes
Klarblick (vipassanā) ist die auf unmittelbarer Anschauung gegründete, wirklichkeitsgemäße Einsicht in die vergängliche, unbefriedigende und unpersönliche Natur aller körperlichen und geistigen Vorgänge. Das Innehalten-Können dient diesem Klarblick, indem es eine genaue Prüfung der Dinge auch dort ermöglicht, wo sonst im Wirbel der äußeren Ereignisse, im schnellen Fluss der inneren Vorgänge oder im Ansturm der Leidenschaften klares Denken keinen Fußpunkt findet. Dem ungeschulten Auge werden die Dinge, wenn sie in der normalen oder gar mit gesteigerter Geschwindigkeit an diesem vorüberziehen, meist nur eine einzige, die "grellste" Seite darbieten, die gewiss nicht immer die wichtigste ist. Einem ungeübten Denken werden die Dinge durch die Schnelligkeit ihres Ablaufes eine falsche Einheit, eine unwirkliche Einheitlichkeit vorspiegeln, ebenso, wie im Upanishaden-Gleichnis die schnell geschwungene Fackel einen geschlossenen Feuerkreis vortäuscht. Doch nicht nur die den Dingen selber innewohnende Ablaufgeschwindigkeit erschwert ihre wirklichkeitsgemäße Erkenntnis, sondern in hohem Grade auch die dem Geiste selber innewohnende "affengleiche" Unrast, die immer nach Neuem greift und selten genügend lange bei einem einzelnen Objekt verweilt, um es sich geistig wirklich zu eigen zu machen. Dieser Drang nach Neuem, dieses Verlangen nach Abwechslung (auch in geistiger Nahrung!) ist zwar nicht ausschließlich, aber sehr stark und häufig durch die Oberflächlichkeit der Geistesfunktionen begründet, dieser Geistesfunktionen, die nicht tief genug in das einzelne Objekt eindringen, es nicht lange und sorgfältig genug betrachten, um die Fülle des Interessanten, Nachdenklichen und manchmal auch Schönen, selbst in den einfachen Alltagsdingen zu entdecken. Die Gewöhnung an beobachtendes Innehalten aber entwöhnt allmählich den Geist von seiner Neigung zur Oberflächlichkeit und seinem Drang nach Abwechslung. Die flüchtigen Dinge der Innen- und Außenwelt werden durch das Innehalten gleichsam vor dem Auge der prüfenden Erkenntnis festgehalten und zeigen sich ihm dann in ihrer wahren Natur. Zunächst verlieren sie ihre Schein-Einheitlichkeit und erscheinen in ihrer ganzen Vielfältigkeit, indem sie sich als ein Gefüge von Abhängigkeiten, Beziehungen und Zusammenhängen erweisen. Schließlich aber gewinnen sie eine neue "Einfachheit", indem sie von uns als "unpersönliche Werde-Vorgänge" erkannt werden. Denn nur durch das beobachtende Innehalten vermag man im Sinne der "Übungsanweisung an Bahiya" die gesamte Wahrnehmungswelt so zu vereinfachen und von der Vielfalt ichbezogener Wertungen und Unterscheidungen frei zu halten, dass einem "das Gesehene bloß ein Gesehenes ist, das Gehörte bloß etwas Gehörtes, das mit den anderen Sinnen Erfahrene bloß ein solches und das Erkannte bloß etwas Erkanntes".
So steht das Innehalten am Beginn der Klarblicks-Erkenntnis.
Das Innehalten als Förderung der Geistesruhe
Die Übung im Innehalten erleichtert aber auch die ersten Schritte zur "Geistesruhe" (samatha), d.h. die Einigkeit des Geistes im Sinne seiner Konzentration und des inneren Friedens. Indem nämlich das Reine Beobachten sich vom Eingreifen fernhält, reduziert es die zentrifugalen Tendenzen unseres Geistes. Indem es beim beobachteten Objekt innehält, fördert es die zentripetalen Kräfte, d.h. die Konzentrationsfähigkeit des Geistes. So ist dies eine wirksame Vorbereitung für die "volle Sammlung" des Geistes (appanā-samādhi) in den meditativen Versenkungen.
Die Gewöhnung an das beobachtende Innehalten und Stillehalten befähigt den Geist sich von einem allzu lärmend und anspruchsvoll gewordenen äußeren Geschehen in seine eigene Stille zurückzuziehen. Es befähigt den Geist bei heftigen Schicksalsstürmen im Hafen einer scheinbaren Passivität, im wachsamen Nicht-Handeln Zuflucht zu nehmen und still zu warten, bis die Stürme vorüber sind. Denn in manchen Situationen, die stärker sind als wir, ist das Stillehalten die beste Lösung - besser jedenfalls, als mit unzulänglichen Mitteln einen vergeblichen Widerstand zu versuchen. Es gibt Fälle, in denen es ratsam ist, Dinge zu ihrem natürlichen Ende kommen zu lassen, Fälle, in denen Widerstand nur einen neuen Antrieb bildet für eine Bewegung, die sich aus sich selber heraus längst erschöpft hätte.
Wer warten kann, mag dort Sieger werden, wo Gewalt versagt.
Abgesehen von der Auseinandersetzung mit schicksalhaften Situationen, lehrt die aus dem Stillehalten gewonnene Erfahrung, dass es durchaus nicht nötig ist, auf jeden Reiz zu reagieren, jede Begegnung mit Menschen, Dingen oder Ideen als eine Aufforderung zu aktiver Stellungnahme zu betrachten. Wenn man es auch nur an einigen Versuchs-Tagen durchführt, vor einem Reagieren auf allerlei nebensächliche Geschehnisse prüfend innezuhalten, ob eine Stellungnahme in Wort oder Tat überhaupt nötig ist, so wird man feststellen, um wieviel ruhiger und harmonischer solche Tage verlaufen. Rückblickend wird man dann mit Bedauern feststellen, wieviele Komplikationen in Fällen völlig überflüssigen Eingreifens man sich durch solche Zurückhaltung hätte ersparen können. Bleibt man dessen eingedenk und bemüht man sich diesem Innehalten, Stillehalten, Sich-Zurückhalten, wo immer es angebracht ist, einen wachsenden Raum in seinem Alltag zu geben, so wird allein schon ein beträchtlicher Gewinn an Geistesruhe und auch eine Reduzierung in der Vielfalt karmischer Bindungen resultieren. Dies wird zwar zunächst nur die Peripherie des Lebenskreises betreffen, aber gerade dadurch wird verhindert, dass, wie es so häufig geschieht, Ereignisse der Peripherie allmählich immer stärker und zahlreicher werdende Querverbindungen zum Lebenszentrum erhalten, deren Einfluss dann schließlich den Charakter dieses Zentrums völlig verändert. Durch dieses Reduzieren der Vielfalt karmischen Wirkens geht also dieses "Stillehalten am Beginn der Geistesruhe" in jenes Stillehalten über, welches "die Dinge endet". In diesem Zusammenhang aber war unsere Hauptabsicht nur darauf hinzuweisen, wie das beobachtende Innehalten die Geistesruhe fördert, indem es der Reduzierung zerstreuender Vielfältigkeit dient und die Reibungsflächen mit der Umwelt und die Spannungen im eigenen Geist verringert.
Die Vermeidung und Überwindung unheilsamer Gedanken durch das Innehalten
Ein beträchtlicher Teil des Übels, das in der Welt geschieht, kommt nicht aus vorbedachter Böswilligkeit, sondern entsteht aus einer anfänglichen Unüberlegtheit, von deren Folgen man sich dann immer weiter treiben lässt. Augenblicksimpulse können den Menschen in eine Richtung drängen, die er schon wenige Momente nachher als dem vorherrschenden Grundzug seines Charakters entgegengesetzt empfindet. Beim Innehalten aber wird häufig die erste Versuchung weichen, der erste Hass schwinden und die erste Täuschung sich auflösen. Je wacher und geschulter die Achtsamkeit, desto früher kann das Innehalten die Entwicklungsreihe des Unheilsamen unterbrechen. Dementsprechend wird auch die treibende Kraft des Unheilsamen schwächer sein, das Maß an "Gewaltsamkeit" in seiner Überwindung geringer und die aus dem betreffenden Unheilsamen entstehenden Verwicklungen weniger weitreichend. Nehmen wir als Beispiel einen angenehmen Seh-Eindruck:
Wir erblicken einen Gegenstand, der uns gefällt. Dieses "Gefallen" ist eine zunächst noch wenig aktive Zuneigung. Setzt hier das beobachtende Innehalten ein, so wird es möglich sein, den Sehvorgang seiner noch geringen Gier-Beimischung zu entkleiden und ihn rein sachlich "bloß als etwas Gesehenes" zu registrieren. Oder man wird zumindest imstande sein, den Gier-Anteil zum Grad eines ästhetischen Interesses zu reduzieren. Wird aber dieser Einsatzpunkt versäumt und hat sich das Gefühl der Zuneigung zur Besitzgier gesteigert, so mag ein jetzt erfolgendes Innehalten immer noch ein Abklingen des Giergedankens bewirken und sowohl das hartnäckige Festhalten an ihm, wie auch die Erfüllungsbemühungen verhindern. Die nächste Phase wäre, dass der Gedanke zum Wort wird: man bittet um den Gegenstand oder fordert ihn gar mit ungestümen Worten vom Besitzer. Die Abweisung erzeugt im Begehrenden den unheilsamen Gemütszustand von Enttäuschung, Trauer oder Ärger. Doch selbst ein Innehalten und Sichzufriedengeben in diesem Stadium mag noch weitere Verwicklungen ersparen. Lässt man sich aber zur Tat hinreißen und versucht sich den Gegenstand gewaltsam oder heimlich anzueignen, so wird die karmische Bindung noch stärker und die unmittelbaren Folgen noch schwerwiegender. Doch selbst wenn nach einer solchen Handlung ein sich besinnendes Innehalten erfolgt, so wird dies nicht ohne Nutzen sein.
In diesem Sinne ermahnte der Buddha seinen Sohn Rāhula:
"Welches Wirken auch immer du mittels des Körpers, der Sprache oder des Geistes ausführen willst, dieses körperliche, sprachliche oder geistige Wirken sollst du dir betrachten ... Wenn du bei dieser Betrachtung erkennst: 'dieses Wirken, das ich ausführen will, schadet mir selber, schadet anderen oder schadet beiden', ... so sollst du dieses Wirken gewiss nicht ausführen. Auch während du mittels des Körpers, der Sprache oder des Geistes ein Wirken ausführst, sollst du dir dieses Wirken betrachten. ... Wenn du bei dieser Betrachtung erkennst: ´dieses Wirken, das ich ausführe, schadet mir selber, schadet anderen oder schadet beiden', ... so sollst du von einem solchen Wirken lassen. Auch wenn du mittels des Körpers, der Sprache oder des Geistes ein Wirken begangen hast, so sollst du es dir betrachten. ... Wenn du bei dieser Betrachtung merkst: 'dieses Wirken, das ich ausgeführt habe, hat mir selber geschadet, hat anderen geschadet oder hat beiden geschadet', ... so sollst du dich künftig davor hüten!" (M.61)
Spontaneität
Die Gewöhnung an das "Innehalten" vor einer Betätigung wird aber durchaus nicht jede spontane Äußerung ausschalten oder lähmen. Im Gegenteil! Das Innehalten selber wird durch Übung zu einem spontanen Vorgang werden und einen geistigen "Auswahlmechanismus" ermöglichen, der mit immer größerer Sicherheit und Reaktionsschnelligkeit das als unheilsam Erkannte ausschließt. Wie gewisse Reflexbewegungen spontane Schutzmaßnahmen unseres Körpers darstellen, so soll das Innehalten zu einem geistigsittlichen Selbstschutz ausgebildet werden. Ebenso wie ein Mensch mit einem durchschnittlichen Tugendniveau vor Diebstahl oder Mord instinktiv zurück schrecken wird, so soll durch das beobachtende Innehalten das Gebiet solch spontan funktionierender Sicherungen systematisch erweitert werden. Bei einer weisen Benutzung der in der Buddha-Lehre gegebenen Hilfen gibt es nichts, was dieser gewaltlosen, mit dem Innehalten beginnenden Satipaṭṭhāna-Methode auf die Dauer widerstehen kann. Die Hemmung und Ausschaltung der üblen Impulse bedeutet aber gleichzeitig auch eine größere Entfaltungsmöglichkeit für die guten. Denn jenes Gute in uns, das sich bisher erst nach einem Kampf der Motive gegen Widerstände durchsetzen konnte, vermag sich nun ganz frei und spontan zu äußern. Es wird mit größerer Verlässlichkeit auftreten und auch mit größerer Ansteckungs- und Überzeugungskraft auf andere wirken. Hier öffnet sich ein Weg, auf dem man allmählich das "vorbedachte Gute" (sasaṅkhāra-kusala-citta) in ein spontanes (a-saṅkhāra) verwandeln kann, das nach der Wertskala des Abhidhamma den ersten Rang einnimmt, sofern es mit Wissen verbunden ist. Es ist also nur die Spontaneität des Unheilsamen, die durch die Methode des beobachtenden Innehaltens gebrochen werden soll.
Hierdurch und durch spätere Ausführungen werden wir jenen scheinbar paradoxen Ausspruch im "Geheimnis der goldenen Blüte" verstehen:
"Wenn man absichtlich die Absichtslosigkeit erlangt, dann hat man es erfasst." Man könnte für diese Worte geradezu die folgende Paraphrase in der Pāli-Sprache geben: "Sasaṅkhārena asaṅkhārikaṃ pattabbaṃ", das ist: "durch vorbedachte Übung kann man Spontaneität erreichen".
Verlangsamung
Die Übung im Innehalten setzt dem Ungestüm der Impulse und der voreiligen Unachtsamkeit eine bewusste Verlangsamung entgegen. Im raschen Tempo unserer Zeit erscheint es freilich kaum angängig in den durchschnittlichen Arbeitstag eine Verlangsamung der Funktionen einzuführen. Doch gerade als ein Gegenmittel gegen die unheilsamen Folgen der "modernen Hast" ist es geboten, in den Freistunden Verlangsamung und Innehalten bewusst zu pflegen, selbst vom rein praktischen Gesichtspunkt aus.
Verlangsamung ermöglicht größere Aufmerksamkeit auf die einzelnen Phasen eines komplexen Vorganges und deren bessere Beherrschung wird notwendig die Leistungsfähigkeit im gesamten Arbeitsvorgang erhöhen. Vom Gesichtspunkt unserer Geistesschulung aber bedeutet die Verlangsamung eine wirksame Schulung in größerer Besonnenheit, Sinnenzügelung und Konzentration. Doch darüber hinaus hat sie noch mannigfache, mehr spezielle Bedeutung. Im Satipaṭṭhāna-Kommentar lesen wir z.B., wie die Funktionsverlangsamung der "Wiedergewinnung eines verlorenen Meditationsobjektes" dienstbar gemacht wird. Ein Mönch hatte seinen Arm gebeugt, ohne dabei, entgegen seiner Übungsanweisung, an sein Meditationsobjekt gedacht zu haben. Darauf nahm er den Arm in die frühere Position zurück und wiederholte die Bewegung langsam und mit gesammeltem Geiste. Das hier gemeinte Meditationsobjekt war offenbar die Sutten-Stelle: "Er handelt wissensklar beim Beugen und Strecken ...".
Von ganz besonderer Wichtigkeit ist die bewusste Funktions-Verlangsamung für die Klarblicks-Erkenntnis und zwar vor allem für die Einsicht in das unaufhörliche Entstehen und Vergehen, sowie in die Unpersönlichkeit aller Vorgänge (anicca, anattā). Es ist in hohem Grade die Ablaufgeschwindigkeit der Einzelvorgänge, die den Glauben an die Dauer, Einheitlichkeit und Selbständigkeit eines komplexen Vorganges fördert. Daher gehört zu den wichtigsten und wirksamsten Übungen in strikten Satipaṭṭhāna-Kursen die Verlangsamung und Analyse des Geh-Vorganges. Es wird hierbei zu einem immer stärker werdenden Eindruck, wie jeder der Teilvorgänge entsteht und vergeht und nicht etwa in die nächste Phase übergeht, ebensowenig, wie bei der sog. "Wiedergeburt" ein "Hinübergelangen einer Identität" erfolgt. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, dass für den Beginn eine Dreiteilung des Geh-Vorganges völlig ausreichend ist (Heben, Tragen und Setzen des Fußes).
Die Verlangsamungsübungen werden über den unmittelbaren Übungszweck hinaus auch ganz allgemein in einen ruhigeren Durchschnittsrhythmus des alltäglichen Handelns, Sprechens und Denkens resultieren. Gedanken, Gefühle und Sinneneindrücke werden die Möglichkeit erhalten voll auszuklingen, bis zu ihren letzten, feinsten Vibrationen. Diese leisen Ausschwingungen werden im Durchschnittsbewusstsein allzuhäufig unterbrochen durch ein ungeduldiges Greifen nach neuen Eindrücken, bevor die alten voll aufgenommen oder gar innerlich verarbeitet sind. Dies hat besonders bedenkliche Dimensionen im modernen Großstadt-Menschen, dessen Unrast nach immer neuen Reizen in immer schnellerer Abfolge verlangt. Dieses Trommelfeuer von Eindrücken stumpft wiederum seine Sensitivität derart ab, dass die neuen Reize zunehmend stärker und gröber sein müssen. Somit erklärt sich auch die Abnahme feinerer ästhetischer Empfänglichkeit im Zivilisations-Menschen, wie auch die wachsende Unfähigkeit zu echter, natürlicher Freude. An Stelle von beiden ist eine kurzatmige Erregung getreten, die keine ästhetische, nachhaltige oder gefühlsmäßige Befriedigung (Befriedung) hinterlässt. Die Verlangsamung und Beruhigung des Lebensrhythmus', das Tieferwerden des Lebensatems wird sich auch hier wohltuend und glückmehrend auswirken. Wir sprachen eben bildhaft vom Tieferwerden des Lebensatems. Dies ist mehr als ein Bild. Es ist auch tatsächlich ein Beispiel. In der Meditationsübung der "Achtsamkeit auf den Atem" (ānāpāna-sati), hat die Achtsamkeit den gesamten Atemzug: Beginn, Mitte und Ende mit gleichmäßiger Deutlichkeit zu erfassen. Das ist der Sinn der Übungsformel:
"Den ganzen (Atem-) Körper empfindend werde ich ein- und ausatmen."
Dieser Übungsaspekt ist gleich wichtig für die Gewinnung der Vertiefungen (Jhānas), wie für die sich auf die Atmungsachtsamkeit stützende Klarblicks-Erkenntnis.
Der Einfluss auf Gedächtnis, Unterbewusstsein und Intuition
Indem die Verlangsamung auch die Erfassung der oftmals verschwommenen Endphasen von Bewusstseinseindrücken erleichtert, hilft sie der Achtsamkeit und dem Bewusstsein im Allgemeinen volle Wirkungskraft zu geben. Dies wird sich als ein wesentlicher Faktor in der Klärung, Weitung, Vertiefung und Stärkung des menschlichen Bewusstseins erweisen.
Nun gewinnen wir auch an diesem Punkt ein wachsendes Verständnis dafür, wie es der so einfachen Übung der Achtsamkeits-Entwicklung gelingt, so tiefgreifende und entscheidende Wirkungen herbeizuführen. Wenn wir klar und achtsam aufgefasste Eindrücke langsam ausklingen lassen und den ganzen Vorgang mit "schwingender Achtsamkeit" begleiten, so werden diese Eindrücke tiefer in unserem Inneren Wurzel fassen als solche mit abrupter oder verschwommener Endphase. Diese voll ausgeklungenen Eindrücke werden ferner, wenn wir uns bildlich ausdrücken dürfen, auf ihrem "Wege" in die tieferen Bewusstseinsschichten und während ihres "Aufenthaltes" in ihnen (als latente Erinnerungsbilder oder Tendenzen) weniger von ihrer Eigenart und ihren deutlichen Konturen einbüßen als es im anderen Fall geschieht. Das wiederum hat zur Folge, dass solche Eindrücke leichter erinnert werden können. Sati als ein achtsames Ausklingenlassen von Eindrücken stärkt also auch Sati in seiner Funktion als Gedächtniskraft.
Ferner zeigt sich durch diese größere Tiefenwirkung und Deutlichkeit voll ausgeklungener Eindrücke auch ein neuer Weg, langsame Strukturveränderungen im Unterbewusstsein zu bewirken. Wenn solche "ausgereifte" Eindrücke ins Unterbewusstsein sinken, so nehmen sie dort dank ihrer größeren Deutlichkeit (und damit leichteren Verfügbarkeit für das Oberbewusstsein) eine Sonderstellung ein. Solange sie nur vereinzelt auftreten, werden sie sich freilich im Durchschnittsniveau des Unterbewusstseins verlieren. Nehmen sie aber durch bewusste Förderung zu, so werden sie im Gegenteil immer mehr die "normalen", schwächeren Unterbewusstseinsmomente anziehen und sich assimilieren, je nach der Weite ihres Assoziationskreises und dem Grade ihrer Kraft. Sie bilden dann gleichsam kleine Wirbel im Strom des Unterbewusstseins, die ein Mittelding darstellen zwischen seinem glatten, ungestörten Dahinströmen und seinem völligen "Durchschneiden" durch das Oberbewusstsein. Wenn immer größere Teile des Unterbewusstseins auf diese Stufe leichterer Verfügbarkeit gehoben werden, so wird sich dadurch allmählich eine stärker und immer breiter werdende Brücke zwischen Ober- und Unterbewusstsein bilden, auf welcher sich gleichsam der Verkehrsstrom in beiden Richtungen ohne Hindernis und Stauung bewegen und eine gegenseitige Befruchtung der beiden Gebiete stattfinden kann. Die derart enger gewordene Beziehung zwischen Ober- und Unterbewusstsein, die wir in diesem Bilde (und es soll nicht mehr als ein Bild zur Verdeutlichung sein) ausgedrückt haben, besagt in anderen Worten, dass in einem solchen Geiste die Intuition einen größeren Platz einnehmen wird. Denn Intuition entsteht ja nicht aus dem Nichts, sondern erwächst aus dem dunklen Humusboden des Unterbewusstseins und zwar vorwiegend aus den Nährstoffen voll ausgereifter, leichter verfügbarer Eindrücke. Das gilt auch für die religiöse Intuition.
Es geschieht nicht selten, dass die großen Wendepunkte spiritueller Entwicklung und auch der Eintritt eines Buddha-Nachfolgers in den Heiligkeitspfad durch kleine Alltagserlebnisse ausgelöst werden, welche die Kraft nur durch eine vorherige "Vertrautheit mit den kleinen Dingen" erhalten. Diese Vertrautheit aber entsteht eben durch das langsame Ausklingenlassen solcher Eindrücke und die hierdurch erfolgende Bildung eines Reservoires leicht verfügbarer Erinnerungen. Wenn nun jene Eindrücke, seien es auch solche von den geringfügigsten Dingen, mit lehrgemäßer Erkenntnis verbunden waren, so werden sie imstande sein, den intuitiven Klarblick bis hinauf zu seiner Reife in der Heiligkeit zu fördern. Es muss einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben, Näheres über diese "Vertrautheit mit den kleinen Dingen" zu sagen.
Wir haben hiermit wieder eine neue Erklärung für jenen Schein-Paradox erhalten, von dem wir oben sprachen: von der absichtlichen Erreichung der Absichtslosigkeit. Wir haben hier nämlich gesehen, wie die sogenannte Unmittelbarkeit der Intuition durch eine ihr scheinbar entgegengesetzte Verbewusstung selbst kleinster Eindrücke gefördert werden kann.
Das langsame Ausklingenlassen von Eindrücken bereitet aber nicht nur den Boden für die Intuition, sondern ermöglicht auch ihr Festhalten, ihre Auswertung, ja ihre Wiederholung. Es ist seit jeher die Klage der Inspirierten, dass die Intuition so schnell auftaucht und schwindet, dass das nachhinkende Bewusstsein manchmal kaum noch ihren letzten Schimmer einfängt. Hat sich aber das Durchschnittsbewusstsein an ein beobachtendes Innehalten bei den Eindrücken und an ihr langsames Ausklingenlassen gewöhnt und ist dadurch auch das Unterbewusstsein in der zuvor beschriebenen Weise beeinflusst worden, so wird es leichter sein, dieses Ausklingenlassen auch auf den intuitiven Moment selber anzuwenden. Kann man das allmähliche Abklingen der Intuition mit "schwingender Achtsamkeit" begleiten, so wird es manchmal möglich sein, diese feinen Schwingungen vor ihrem völligen Ende zwanglos wieder langsam ansteigen zu lassen und so zu einem nochmaligen Höhepunkt zu führen. Man wird also eine unmittelbare Wiederholung oder Variation des Erlebnisses oder der Einsicht ermöglichen können, die bei einem abrupten Ende des intuitiven Momentes willkürlich kaum zu erreichen ist. Hiermit wird, um die Terminologie des Abhidhamma zu gebrauchen, die sehr wirkungskräftige "Wiederholungs-Bedingung" (asevana-paccaya) gesetzt. Sie kann besonders bei den ersten flüchtigen Momenten intuitiven Klarblicks von folgenschwerer Bedeutung sein. Lässt man nämlich diesen ersten flüchtigen Moment entgleiten, wird er sich möglicherweise erst wieder nach Jahren oder überhaupt nicht mehr in diesem Leben wiederholen. Gelingt es aber, ihn in der beschriebenen Weise "festzuhalten" und zu ihm, gleichsam wie Jakob zum Engel, zu sprechen, "Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!", so mag es sein, dass dieser Moment wirklich seinen Segen unmittelbar und überraschend gewährt, indem er jenen gewaltigen, bleibenden "Eingriff" des Überweltlichen in das weltliche Bewusstsein bewirkt, den die sinntiefe biblische Erzählung mit Jakobs verrenkter Hüfte symbolisiert.
Für uns deuten wir diesen "Eingriff"als die entscheidenden Wendepunkte der Entwicklung auf dem buddhistischen Erlösungspfad: das erste Ergriffenwerden von der Strömung kontinuierlichen geistigen Fortschrittes, der Aufstieg zu den hohen Pfaden und die letzte Loslösung im Heiligen.
In solcher Weise kann sich die für den Leser der Texte manchmal überraschend plötzliche Gewinnung der Heiligkeit vollzogen haben, von der die Lehrreden mehrfach berichten. Selbstverständlich ist dies und jedes "Festhalten" einer vereinzelten Klarblicks-Intuition nur zu erwarten, wenn durch die Satipaṭṭhāna-Übung die Achtsamkeit an tragender Kraft und Schwingungsweite gewonnen hat. Mit den Ausführungen dieses Kapitels haben wir die Achtsamkeit in ihrer klassischen Definition als "Nicht-Entgleitenlassen" oder "Nicht-Oberflächlichkeit" kennen gelernt.
4. Die Unmittelbarkeit der Anschauung
"Ich wollte, dass ich mich von allem entwöhnen könnte, dass ich von neuem hören, von neuem fühlen könnte. Die Gewohnheit verdirbt unsere Philosophie." Lichtenberg
Wir haben bereits im Vorhergehenden von der impulsiven Spontaneität des Unheilsamen gesprochen. Wir haben dabei gesehen, wie das beobachtende Innehalten diese Unmittelbarkeit der unheilsamen oder übereilten Reaktion beseitigt oder reduziert und wie damit jener Unmittelbarkeit der Anschauung Raum gegeben wird, die der Gegenstand der folgenden Ausführungen sein soll. Unter der Unmittelbarkeit der Anschauung verstehen wir die Gewinnung eines unverfälschten Wirklichkeitsbildes, ohne dass sich dabei spontan auftretende Vorurteile des Gefühles und des Intellektes oder verfälschende Assoziationen dazwischendrängen.
"Die Macht der Gewohnheit"
Spontane Äußerungen kommen aber nicht nur aus leidenschaftlichen Impulsen. Sie sind auch sehr oft Ergebnis der Gewohnheit, und in dieser Form ist ihr Einfluss zum Guten oder Schlechten von besonderer Stärke. Ihr Einfluss zum Guten zeigt sich in der "Kraft der Übung", mit der man einmal Erworbenes vor dem Verlust oder dem Vergessen sichert, es sich ganz zu eigen macht. Der Einfluss zum Schlechten aber ist der Zwangscharakter der Gewohnheit, ihre lähmende und abstumpfende, unbeweglich und unbeeinflussbar machende Wirkung. Mit diesem negativen Aspekt wollen wir uns hier befassen. Gewohnheit breitet ihr großes und dichtes Netz über weite Gebiete unseres Lebens und Denkens. Immer mehr sucht sie in dieses Netz einzufangen, selbst flüchtige Impulse. Denn diese gelegentlich auftretenden, manchmal nur schwachen Impulse, Launen oder Neigungen können durch ungehemmte Wiederholung zu schwer entwurzelbaren Gewohnheiten werden, zu Automatismen, die nicht mehr in Frage gestellt werden. Fortgesetzte Wiederholung der Drangbefriedigung schafft Gewohnheit, die schließlich einen Zwangscharakter annimmt. Die betreffende Betätigung, an die man sich gewöhnt hat, mag zunächst gar nicht besonders lust- oder wertbetont gewesen sein. Oft würde es zu Beginn gar keine Schwierigkeiten gemacht haben, auf sie zu verzichten oder sie gar mit ihrem Gegensatz zu vertauschen. Durch die Wiederholung aber wird Gewohntes allmählich gleichbedeutend mit "angenehm" und das sie unterbrechende Ungewohnte mit "unangenehm" oder "feindlich". Eine gewohnte Handlungs- oder Betrachtungsweise gilt instinktiv als "richtig", eine ungewohnte als "abwegig" oder "falsch". Die Bindung erfolgt hier also nicht an das Objekt der Gewohnheit, sondern an die Annehmlichkeit der Routine, an die ungestörte Fortsetzung einer Gewohnheit. Die Stärke dieser Bindung erklärt sich vor allem aus der dem Körperlichen und dem Geistigen innewohnenden "Schwerkraft", aus dem Beharrungsdrang. Durch die Gewohnheit erhält das betreffende Objekt und der seiner Erhaltung oder Gewinnung dienende Wille ein damit ursprünglich gar nicht verbundenes Gewicht, eine so starke Wertbetonung, dass eine scheinbar belanglose Alltagsgewohnheit in ebenso tiefe oder noch tiefere Schichten des Unterbewusstseins sinken kann wie eine starke Leidenschaft. So trägt sie einen beträchtlichen Teil zur Bildung und Begrenzung des sogenannten Charakters bei. Erst die "Macht der Gewohnheit" hat also diese neue Fessel geschaffen für neue Zu- und Abneigungen, Vorlieben und Vorurteile und damit für neues Leiden. Das bedeutet eine um so größere Gefahr für die geistige Entwicklung als die Gewohnheit, die, wie bereits bemerkt, einen sehr starken Expansionsdrang besitzt und immer mehr Tätigkeiten und Lebensgewohnheiten zu erfassen sucht. Jeder Bewusstseinsvorgang von gewisser Stärke hat nämlich die (allerdings nie ganz unbestrittene) Tendenz zur Wiederholung. Diese Wiederholungstendenz erklärt sich nicht nur aus dem oben erwähnten Beharrungsdrang, sondern auch periphere Bewusstseinsvorgänge haben das Betreben nach stärkerem Einfluss, um zu einem, und sei es auch noch so kleinen "Zentrum", zu werden, um welches andere, schwächere Bewusstseinsvorgänge kreisen, sich ihm anpassen und unterordnen. Es hat die Tendenz, aus einer flüchtigen Erscheinung oder Laune zu einer relativ konstanten Charakter-Eigenschaft oder gar zu einem Zentrum einer neuen, sich aus der alten Kombination abspaltenden Persönlichkeitsbildung zu werden. Diese doppelt tiefe Verwurzelung in der "Schwerkraft" und im "Willen zur Macht" bringt es mit sich, dass die Wiederholungstendenz durchaus nicht immer bewusster Förderung bedarf, sondern sich auch dann auswirken kann, wenn die betreffende geistige oder körperliche Tätigkeit unbeachtet und ohne genügenden Widerstand bleibt. Aus solchen kleinen, unbeachteten Samenkörnern schlechter Gewohnheiten ist vieles entstanden, was heute in uns eine schwer zu lösende Fessel ist. Das Innehalten und das Reine Beobachten aber geben die Möglichkeit für eine unmittelbare Anschauung der betreffenden inneren oder äußeren Situation und damit für neue, durch die Wiederholungstendenz unbeeinflusste Entscheidungen. So wird verhindert, dass sich Einstellungen und Handlungsweisen rein automatisch wiederholen und sich dadurch das Reservoir des Unterbewussten fortwährend mit neuen, zeugungskräftigen Keimen des Unheilsamen füllt. Denn schon wenn diese Keime die Widerstandserfahrung des Innehaltens mit sich nehmen, werden sie viel von ihrer Zeugungskraft und Wiederholungs-Tendenz eingebüßt haben.
Man missverstehe nicht: Gewohnheit kann und soll nicht etwa gänzlich aus unserem Leben verschwinden. Bedeutet es doch, besonders in der Vielfältigkeit des modernen Lebens, eine beträchtliche Vereinfachung und Kraftersparnis, wenn man kleine Alltagsverrichtungen und die routinemäßigen Teile beruflicher Arbeit gleichsam mit halber Aufmerksamkeit ausführen kann. Gewisse Arbeit kann sogar zeitweise bessere und gleichmäßigere Resultate hervorbringen, wenn sie in eingeübter Routine erfolgt, wenn sie eben nicht von den häufigen Schwankungen gerichteter Aufmerksamkeit abhängig ist. Doch auch diese Gleichmäßigkeit gewohnter Arbeitsleistung hat ihren toten Punkt, an dem sie nachzulassen beginnt. Auch Routine zeigt Ermüdungserscheinungen, wenn sie allzulange ohne den belebenden Antrieb eines neuen Interesses geblieben ist. Nach der wohltätig vereinfachenden, die Leistungen verbessernden "Macht der Gewohnheit", stellt sich dann ihr abstumpfender und Kraft entziehender Einfluss ein.
Die "kleinen Gewohnheiten" sollen also keineswegs ganz "abgeschafft" werden, doch wir sollten uns regelmäßig davon vergewissern, dass wir die Herrschaft über sie behalten, d.h. sie auch aufgeben oder ändern können, wenn wir es wünschen. Dies geschieht dadurch, dass wir von Zeit zu Zeit unsere volle Aufmerksamkeit auf sie richten, unser reines, durch Gewohnheiten unbeeinflusstes Beobachten auf die betreffende Situation lenken und so zu einer Unmittelbarkeit der Anschauung gelangen.
Hierdurch werden altvertraute Dinge und auch Menschen, deren man schon fast überdrüssig wurde, wieder "neu" und eindruckskräftig. Man gewinnt wieder Abstand von ihnen, sowie von der eigenen Reaktion auf sie. Man erinnert sich wieder an die Möglichkeit, dass man Tätigkeiten auch auf andere Weise ausführen, Dinge und Menschen anders betrachten und auf sie anders als bisher reagieren kann. Diese gewonnene Unmittelbarkeit der Anschauung benutze man auch dazu, um tatsächlich mit dieser oder jener üblen Angewohnheit zu brechen. Je früher man mit einer Entwöhnung anfängt, desto leichter wird, wie bei einer Rauschgiftsucht, die "Entwöhnungskur" vonstatten gehen. Die so erworbene Fähigkeit, mit kleinen Angewohnheiten zu brechen, wird ihre Wichtigkeit erweisen, wenn es einmal gilt, wirklich gefährliche üble Gewohnheiten zu entwurzeln oder sich mit tief eingreifenden Veränderungen seines Lebens abzufinden. Die Auflockerung und Verbeweglichung unseres Alltagslebens durch gelegentliche Entwöhnungen und durch wiedergewonnene Unmittelbarkeit wird einen wohltuenden Einfluss auf die Frische unseres Lebensgefühles und unserer Geistestätigkeit ausüben. Aus diesem Grunde haben auch moderne Psychologen zu gelegentlicher Unterbrechung der Routine und Zuwendung zu neuen Interessengebieten geraten, wenn die Lebensmitte überschritten ist. Es ist eine gewaltige Bereicherung und Vertiefung der inneren und äußeren Erfahrung, die sich durch die Unmittelbarkeit der Anschauung eröffnet.
Diese Entwöhnungs-Übungen stellen ein weiteres, von der Satipaṭṭhāna-Methode gebotenes Mittel dar, die folgenden, für jede Geistesentfaltung so wichtigen Bewusstseinsfaktoren (cetasika) zu stärken: die Beweglichkeit, Geschmeidigkeit und Gefügigkeit des Bewusstseins im allgemeinen und in seinen einzelnen Funktionen.
Assoziatives Denken
Die Bildung von gewohnheitsmäßigen Einstellungen, Werturteilen und Entscheidungen erfolgt auf dem Wege von Gedanken-Assoziationen. Diese Assoziationen wiederum stellen sich dann gewohnheitsmäßig ein. Das Gedächtnis assoziiert, d.h. verbindet eine gegenwärtige Erfahrung oder Situation mit einer gleichen oder vielmehr ähnlichen, früheren. Diese Assoziationsketten werden freilich meist erst durch häufige Wiederholung stärker und müssen oft recht mühsam eingeübt werden. Man denke an die Experimente der Tierpsychologie mit Hunden, Affen, Pferden usw. Man denke beim menschlichen Bewusstsein an das mehr oder weniger langsame Auswendiglernen, zum Teil mit Gebrauch von sogen. "Eselsbrücken" (Assoziationshilfen!), ferner an die bekannte Tatsache, wie selten und langsam Menschen "durch Erfahrung klug werden".
Das Anwachsen des assoziativen Denkens und die sich damit im Menschen ausbildende Fähigkeit der Verallgemeinerung gewonnener Erfahrungen stellte einen ganz gewaltigen Entwicklungsfortschritt über die Welt isolierter Eindrücke dar, in der die Tiere fast ausschließlich und auch wir noch teilweise leben. Doch auch diese Entwicklungsstufe des menschlichen Bewusstseins enthält eine Anzahl von Schwäche- und Gefahrenpunkten, die eine weitere folgerichtige Entwicklung des menschlichen Geistes, und zwar eben auf dem Wege geschärfter und rechter Aufmerksamkeit, überwunden werden müssen. Ebenso, wie die gewöhnliche Wahrnehmung nur eine Auswahl von Merkmalen des betreffenden Objektes vollzieht, so ist es auch beim assoziierenden Gedächtnis der Fall, nur dass die Auswahl der Merkmale hier meist noch kleiner und einseitiger ist. Aufgrund einer solchen Auswahl spricht man dann von einer identischen Erfahrung, die aber genau genommen bloß eine in gewisser Hinsicht ähnliche ist. Oftmals ist natürlich diese Ähnlichkeit ausreichend, um daraus gewisse praktische oder theoretische Folgerungen zu ziehen. Doch man vergesse nie, wie beschränkt, unkritisch und willkürlich diese Auswahl von Merkmalen zumeist ist. Diese Auswahl wiederum ist häufig durch andere, ältere, mitunter irrige Assoziationen bestimmt - manchmal durch eine einzige markante Situation, wodurch dann andere, jener Situation fehlende oder in ihr übersehene, gegenwärtig aber wichtige Aspekte ignoriert werden. Die Merkmalsauswahl mag auch auf ursprüngliche Wahrnehmungstäuschungen zurückgehen oder auf Vorurteile, Vorlieben, Antipathien usw. Die gewohnheitsmäßige Bewertung von Personen, Dingen oder Orten kann durchaus auch auf einer gänzlich ungerechtfertigten assoziativen Übertragung beruhen, wenn z.B. gewisse Personen, Dinge oder Orte bloß raum-zeitlich mit einer unangenehmen Erfahrung verknüpft waren. So kann sich durch eine Fehlassoziation eine tief wurzelnde Antipathie auch auf sie übertragen. Diese Beispiele zeigen, wie sehr unsere assoziationsbedingten Gewohnheiten und gewohnheitsformenden Assoziationen einer regelmäßigen, kritischen Prüfung bedürfen. Eben dies ist eine weitere wichtige Funktion des Reinen Beobachtens.
Wenn man in unmittelbarer Anschauung aus dem Wiederholungszwang der gewohnten Perspektiven heraustritt, gibt man den Dingen gleichsam die Möglichkeit, sich voll auszusprechen und bekommt dadurch vieles zu hören, was bisher von der monotonen Melodie des reinen Assoziierens übertönt wurde. Das Innehalten beim Reinen Beobachten ermöglicht es, eine größere Auswahl von "Merkmalen" wahrzunehmen, so das Gebiet künftiger Assoziationen beträchtlich zu erweitern und damit auch die möglichkeit zu steigern, aus Erfahrungen zu lernen. Hierdurch wird nicht nur die Differenziertheit unserer Erkenntnisfunktion, sondern auch die Sensitivität unseres Gesamtbewusstseins erhöht. Denn die Fülle lebendiger und richtiger Assoziationen ist eine weitere Nährquelle intuitiven Denkens, neben dem Gewahrwerden und Ausklingenlassen der Wahrnehmungsendphasen. Hier zeigt sich wieder, welch gewaltigen Einfluss die so einfache Methode des Reinen Beobachtens auf die Heranbildung eines "neuen", erhöhten menschlichen Bewusstseins haben kann.
Das ist aber für den vom Buddha recht Belehrten keineswegs das Endziel, sondern nur ein Mittel zum höchsten Zweck, der völligen Befreiung des Bewusstseins von Gier, Hass und Verblendung.
Und auch folgendem Ziel dient die Schulung in unmittelbarer Anschauung: Sie sondert diese drei großen "Fehl-Assoziationen" (Gier, Hass und Verblendung) von den "reinen Vorgängen" (suddha-saṅkhāra), mit denen sie sonst so eng verquickt sind und hilft so, die Wirklichkeit und unser Denken von diesen Fehlassoziationen zu lösen, zu "disassoziieren".
Ergriffenheit
Die Ergriffenheit (saṃvega) beim wahrhaft Ergreifenden ist die auslösende Kraft, welche, das Zaudern und den Beharrungsdrang überwindend, Ernst und Stetigkeit im Werk innerer Befreiung zu verleihen vermag.
Die Welt ist voll von ergreifenden Dingen, doch wir sehen sie nicht mehr, weil Gewohnheit unsere Augen stumpf gemacht hat.
Auch das intellektuelle und gefühlsmäßige Erlebnis der Buddha-Lehre wird allmählich seine ursprüngliche Frische und anregende Kraft verlieren, wenn man es nicht immer wieder aus der Fülle der Wirklichkeit variiert und erneuert. Die Unmittelbarkeit der Anschauung aber belebt wieder auf's neue den Eindruck der gewohnten Dinge, so dass sie wieder zu uns zu sprechen beginnen. Bei solch neu gewonnener und wach gehaltener Empfänglichkeit wird dann auch der wiederholte Anblick gewohnten Leidens nicht mehr auf ein abgestumpftes, verhärtetes Gemüt treffen, sondern gerade durch seine Wiederholung ein verstärkter Anlass der Ergriffenheit werden.
Wir kennen den schönen alten Bericht von den "Ausfahrten" des Prinzen Siddhattha, auf denen er die entscheidende Begegnung mit Alter, Krankheit und Tod erfuhr. Dieser Bericht mag recht wohl eine getreue geschichtliche Überlieferung sein, denn wir wissen auch aus vielen anderen Beispielen, wie oft das Leben der wirklich Großen einen symbolhaften, ja "mystischen" Charakter in sich trägt, der ihm nicht erst verliehen zu werden braucht. Hier erhält der Augenblick wahrhafte Bedeutung.
Doch es mag auch recht wohl geschehen sein (ohne dass damit der tiefe Sinn jenes alten Berichtes beeinträchtigt wird), dass Prinz Siddhattha schon vor seinen denkwürdigen Ausfahrten manche Alte, Kranke und Tote gesehen hatte. Doch in der sorgsam gewahrten, künstlichen Abgeschlossenheit seines kleinen Glückes, in die ihn der "Vater", d.h. die ererbte Gewohnheit versetzte, mag jener Anblick des Leidens nur sein fleischliches Auge berührt haben. Erst nach dem Durchbrechen der Gewohnheit, dem goldenen Käfig seines Palastlebens, sah er das Leiden gleichsam zum ersten Mal und wurde jener Ergriffenheit fähig, die ihn auf den Pfad zur Buddhaschaft drängte. Auch an jeden von uns Heutigen wendet sich dieser alte, immer wieder neu ergreifende Bericht: Je unmittelbarer und damit tiefer wir die Leid-Erfahrung erleben können, welche aus den gewohnten Alltagsvorgängen zu uns spricht, desto weniger wird es für den Erkennenden ihrer Wiederholung bedürfen, sei es in diesem Leben oder in künftigen Geburten. Daher sagten die alten Meister der Lehre:
"Dies Menschtum ist die Wirkensstätte, hier öffnet sich der heil'ge Pfad. Und viele Quellen der Ergriffenheit sind hier! So lass dich von Dingen, die ergreifend sind ergreifen, und bist ergriffen du, nimm auf den rechten Kampf!" (aus dem Saṃyutta-Kommentar)
Der Weg zum erlösenden Klarblick
Die Unmittelbarkeit der Anschauung ist auch ein Hauptmerkmal der methodischen Klarblicksübung, die ihre einfachste und wirkungsvollste Form in Satipaṭṭhāna gefunden hat. Hier werden die eigenen körperlichen und geistigen Vorgänge immer wieder in all ihrer Nacktheit ohne den Mantel von Assoziationen betrachtet. Der in der Übung sich bietende fortwährende Anblick des Entstehens und Vergehens dieser Vorgänge und das erstaunliche Erlebnis ihres unpersönlichen Charakters werden zu einem immer tiefer dringenden Eindruck, der bei stetiger Übung selbsttätig und in zunehmendem Grad vieles, was bisher "eindrucksvoll" war und unbezwingbar erschien, in den Hintergrund drängt. Diese Erfahrung mag zu einer Ergriffenheit führen, die einen zunehmend bestimmenden Charakter annimmt und immer weniger Raum lässt für anderes als das, "was not tut", eben das Werk der Befreiung auf dem Wege rechter Achtsamkeit und methodischer Klarblicks-Übung. Hier öffnet sich ein unmittelbarer Zugang zu den höchsten Zielen dieses Weges. Um auf diesen Zugang nachdrücklich hinzuweisen und dem Zögernden einige praktische, naheliegende Gründe und Anwendungsmöglichkeiten in die Hand zu geben, wurden all die vorhergehenden Ausführungen geschrieben.
Sie wollen nicht mehr sein als eine wortreich begründete Einladung, mit dem wortlosen Werk zu beginnen.
1. Was ist Meditation?
lat.: meditatio = nachsinnen, denken - also das, was man hier in Europa üblicherweise für Meditation hält, lehrt und darauf beharrt. Das Wort Kontemplation zu verwenden, wäre hier eher angebracht. Es bedeutet betrachten, reine Anschauung.
Der Wortstamm ist "Media", d.h. Analyse, Forschung (!), was zweifellos treffender ist. Das ist es, was Meditation in buddhistischem Sinn meint: Reines Beobachten.
Worte sind die Quelle der Missverständnisse, wie mal jemand sehr richtig sagte. Deshalb ist es von unermesslicher Wichtigkeit, eben jenes In-Worte-Fassen abzustellen, zur Ruhe zu bringen. Das geht eben nicht durch nachdenken. Das geht nur mittels Reinem Beobachten. Wertungsfrei, nichts benennen, alles so lassen, wie es ist. Eben nur Betrachten. Und sogar das ist noch zuviel. Be-trachten, also an-sehen ist immer noch nicht ganz frei von diversen Irrtümern, Fehlerquellen. Durch-schauen wäre das richtige. Wie oft verwenden wir den Spruch "ich habe dich durchschaut"? Was für eine hohle Phrase! Das ist eben nur so zu verstehen, dass man am anderen einen Charakterzug entdeckt hat. Mehr nicht. Hätte man ihn tatsächlich durchschaut, so würde der Umkehrschluss daraus die Unzulänglichkeiten zumindest des eigenen Charakters aufgedeckt werden. Darüber sollte man sich einmal, besser noch: ständig, im Klaren sein. Auch kann man Meditation auf den Stamm "medi-" zurück führen. Eine weitere zutreffende Variante. Die Mitte. Der Mediator ist der Ver-Mittler. Der, der das Mittelmaß einrichtet usw. Meditation ist ein Weg, um zur Mtte, die in einem selber liegt, zu finden. Sich nicht mehr den Extremen zuwenden, sondern dem mittleren Weg. Die Extreme erkennen und vermeiden, das führt zur Mitte.
Zusammengefasst ist Meditation also nichts weiter, als zu versuchen, ALLES zu durchschauen.
Fragen?
2. Arten bzw. Methoden der Meditation
prinzipiell zwei Wege: Geistesruhe und Einsichtsmeditation
a) Geistesruhe: es wird völlige Stille, Leere im Geist angestrebt. Dieser Weg führt über die vier, bzw. acht Versenkungsstufen (Jhānas) bis hin zur Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung, also ein äußerst subtiles, rein geistig erfahrbares Niveau.
b) Einsicht bzw. Klarblick: ein analytisches Vorgehen, aber nur durch reines Beobachten. Rein insofern, dass alles, was wahrgenommen wird, was im Geist aufkommt, nur wahrgenommen wird und nicht bewertet oder darauf reagiert wird. Das geht bis dahin, dass ALLES, was existiert (oder wovon man meint, es existiere) als bloß Wahrgenommenes betrachtet wird. Effekt ist Abwendung, Begierdelosigkeit, Erlöschen jeglichen Existenzwunsches. Das, wovon die meisten Menschen behaupten, es wäre die völlige Vernichtung. Der pessimistische Touch am Buddhismus. Natürlich ist der Wunsch nach Nicht-mehr-existieren-wollen eine Art Vernichtung: nämlich das Resultat der Vernichtung von Gier, Hass und Verblendung, den drei unheilsamen Wurzeln der Existenz.
3. Wie funktioniert Meditation?
Durch Meditation werden, wie schon gesagt, die drei Wurzeln, also Gier, Hass und Verblendung gerodet. Dass das ein Prozess ist, der möglicherweise über einen sehr langen Zeitraum, auch über mehrere Existenzen hinziehen kann, dürfte klar sein. Demnach sollte man, wenn man denn wünscht, Gier, Hass und Verblendung auszuroden, sich keinen irrigen Hoffnungen hingeben, was schnelle Resultate betrifft. Ernüchterung ist hier angebracht. Wir haben jahre- bzw. sogar jahrzehntelang, und nach buddhistischer Anschauung, möglicherweise viele Daseinsformen lang, auf das hingearbeitet, was wir jetzt sind. Wie können wir dann so verblendet sein und annehmen, dass wir uns schon nach ein paar Minuten Meditation umgekrempelt haben? Geduld, eine in westlichen Ländern, und Ostdeutschland zählt durchaus dazu, etwas mager gesäte Eigenschaft, ist hier zwingend erforderlich. Und wie erlernt man Geduld? Durch Geduld. Seeeeeehr schön. Ein Dilemma. Eine Zwangslage.
Zurück zum Funktionieren:
Durch reines Beobachten, indem man alles so lässt, wie es eben ist, werden die Eigenschaften aller im Geist aufsteigenden Dinge entschleiert.
Diese Haupteigenschaften sind:
a) Unbeständigkeit, Vergänglichkeit, also ein permanentes Kommen und Gehen, Entstehen und Vergehen. Etwas, was für uns energetische Europäer relativ leicht zu erfahren ist. "Panta rei" - "Alles fließt", wie schon die Griechen wussten.
b) Wesenlosigkeit, Ich-losigkeit, leer, ohne ein Selbst/Ich. Eine Sache, die für die meisten Menschen völlig unverständlich erscheint. Gerade im christlich geprägten Kulturkreis als unglaubhaft, als absolut unwahr empfunden. Ja warum wohl? Weil die Vorstellung von sich, von seinem Selbst, das ist, woran die Menschen am meisten hängen.
c) Unzulänglichkeit. Leidhaft, wie nur zu oft übersetzt wird. Leben ist Leiden. Ein Spruch, der zurecht als pessimistisch gelten darf. Eine hohle Phrase. Passend für die, die zwar das Existieren satt haben, aber noch nicht genug Weisheit entwickelt haben, um zu erkennen, dass Freude ein wesentlicher Bestandteil ist, um Erkenntnis zu erlangen.
4. Wie soll meditiert werden?
So viele Wesen wie es gibt, so viele Wege der Meditation gibt es auch. Punkt.
Es gibt 40 Meditationsobjekte. Des weiteren kann man eigentlich alles, was es gibt als Objekt benutzen. Nur sollte man sich klar werden, warum meditiert man, was soll dabei heraus kommen und sich demnach geistig erst einmal entsprechend motivieren.
Ziel - Weg - Durchführung ...
Bücher über Meditation gibt es zuhauf. Viel Papier wurde dafür aufgewendet. Ganze Regale damit bestückt. Aber lesen ist nicht gleich Praxis. Auch in den christlichen Strömungen hat man die Meditation wieder als nutzbringend entdeckt. Warum auch nicht? Buddhistische Meditation dürfte allerdings eine etwas andere Zielstellung verfolgen. Wie aber bereits gesagt, ist diese ganz individuell - oder derart grob "formuliert", dass man darunter so ziemlich alles zusammenfassen könnte. Als buddhistische Struktur bliebe dennoch die Vorgehensweise ganz klar stehen: erst die Absicht, die Ausrichtung des Geistes, dann beruhigen auf ein Mindestmaß, dann Einsicht entwickeln. Dann je nach "Temperament" Geistesruhe und Einsicht weiter und weiter voran bringen. Dazu bedarf es dringend auch eines Mindestmaßes an Theorie.
Da wären wir wieder bei den Büchern angelangt - könnte man meinen. Nein, auch der Rat eines Bekannten, eines Freundes oder Lehrers darf hierzu gerechnet werden. Entscheidend ist aber in jedem Fall die tatsächliche Praxis. Die Theorie hat sich bei so manchem schon als Hemmnis entpuppt. Wer kann das nicht nachvollziehen? Da liest man über Erreichungszustände, freudvolle, mystische - es entsteht der Wunsch: "Das möchte ich auch!" Man liest mehr und mehr darüber. Und wenn man denn meditiert, so geht einem nur solch Zustand durch den Geist - bis man meint, man habe dies erreicht. Dann kommt "die Stunde der Wahrheit". Oft der Zusammenbruch.
Im Alltag wird sich zeigen, was die Frucht der Meditation ist. HIER ist das Bewährungsfeld. Stundenlanges Sitzen bedeutet nicht, dass irgend etwas erreicht wurde. Sehr schön auch mal verfilmt worden. "Samsara" hieß dieser Streifen.
Meditation, wenn man denn tatsächlich erkennen will, "was die Welt bewegt", ist harte Arbeit und kein "Zuckerschlecken". Im Prinzip das Schlimmste, was man sich (seinem ich) antun kann. Wollen Sie das? Wollen Sie das wirklich? Oder genügt es Ihnen vielleicht schon, wenn Sie etwas mehr Ruhe und Entspannung für Ihren Alltag erringen? Warum auch nicht? Man muss nicht zwingend irgend welche Zustände oder mystische Kräfte erlangen. Manch einer ist tatsächlich mit ein wenig mehr Ruhe zufrieden. Ein schönes Wort. Zu-frieden. Ein friedvoller Zustand also. Na, wer das nicht mag...
Mögen diese Worte hier für alle, die es wünschen, Mut machen, es zu versuchen,
Ansporn sein, durchzuhalten
und gut genug, das gewünschte Ziel zu erreichen.
An dieser Stelle eine Auswahl von historischen Plätzen, an denen Siddhattha Gotama, der Buddha, lebte und lehrte.
Über den historischen Buddha ist etwa zehn Mal soviel bekannt, als über den historischen Jesus. Es gibt keine eigentliche Biografie, wenn man von "Apadāna", "Buddhavaṃsa" und "Cariyā-piṭaka" absieht, dennoch lässt sich aus den drei uns überlieferten Teilen der Lehre (Vinaya-, Sutta- und Abhidhammapiṭaka) und den Kommentaren dazu ein ziemlich gutes Bild über den Buddha und die damaligen Verhältnisse in Indien erstellen.
Der buddhistische Kanon erwähnt nur vier "sehenswürdige und ergreifende" Orte, die man als Pilger besuchen sollte, nämlich die Geburtsstätte, den Ort der Erleuchtung, die Stätte der ersten Lehrdarlegung und den Platz an dem er ins Parinibbāna einging (Aṅguttara-Nikāya IV,118). Wir ergänzen hier Orte, welche uns wichtig erschienen, mit erwähnt zu werden. Nach neueren Erkenntnissen aus der Forschung gibt es aber noch weitaus mehr Plätze, welche man mit anführen könnte. Die Wirkungsstätten des Buddha erstrecken sich in etwa über ein Areal von 300 x 600 Kilometer. Auch sind im Laufe der Zeit viele Orte der Vergessenheit anheim gefallen bzw. wurden umbenannt, Flussläufe veränderten sich usw., sodass es mitunter schwierig ist, exakt Orte zu identifizieren.